
Mein erstes Planetenritual. Nach meiner Scheidung, in meiner ersten alleinigen Wohnung mit einem gechrasten Rechner, beschloss ich nach 5 Jahren Magie- und Esoterikspielchenabstinenz ein fürchterlich wirksames Planetenritual zu zelebrieren. Ich brauchte schließlich einen andren, funktionstüchtigen Computer, wollte online sein, chaten und in den unendlichen Weiten des www umherlesen. Nach so ner Trennung (mit jeder Menge Walnußbädern und ähnlichem Gedöns) sehen die Finanzen meistens nicht so rosig aus, also beschloss ich, mir ein billig Exemplar von Buch zu kaufen, in dem so nen "Ich brauche Geld und ich brauchs jetzt, mir reicht auch nen Computer!" Ritual beschrieben ist.
Und tatsächlich fand ich auch so nen Buch, konnt es mir kaufen, ohne dass es mir von einem Ehemann entrissen, in den Keller verbannt oder öffentlich verbrannt werden würde. Hexe Sandra. Das ist die knochige Frau mit der Dornenkrone und ein bissel Reisig in den Haaren. Hübsch illustriert das Buch und das Ritual ziemlich leicht verständlich. Ich las das Ritual, kaufte mir das Zubehör, was lediglich und ganz einfach nur aus einer giftgrünen Kerze und jeder Menge inbrünstiger Gedanken bestehen sollte und der Anweisung, dass ich es Donnerstag Nacht durchzuführen habe. Vorher, so stand es geschrieben, hatte ich mir jede Menge Gewissensbisse zuzufügen, mich anzuzweifeln, ob es auch gut sei und niemanden schaden darf, dieses Ritual. Das seltsame, ich hatte nicht im geringsten ein schlechtes Gewissen. Ich brauchte einen Computer und mir sind etliche gute Gründe eingefallen, warum.
Also stellte ich mir den Wecker und starrte eines schönen Nachts im Jahre 1997 etliche Stunden voll inbrünstiger Gedanken, heiß und innig liebenden Gefühlen diese flammende grüne Kerze an und wünschte mir Geld oder einen funktionstüchtigen Computer. Ja, ich war mir sicher, ich würde ihn lieben und ehren, eine persönliche, intensive Beziehung mit ihm eingehen. Ich würde liebevoll den Bildschirm streicheln, seinen Kopf faktisch und mich beherrschen, nie wieder gegen den Tower zu treten, wenn das Teil nicht funktionieren sollte. Ich gelobte unendliche Besserung im Umgang mit einem funktionstüchtigen Computer. Nach Stunden drückte ich den Docht zwischen meinem bespeichelten Daumen- und Zeigefinger aus, bin eingeschlafen und harrte der Dinge, die da kommen mochten.
Ca. 14 Tage später klingelte die magische Handynummer meines damaligen E+ Anschlusses und ich bekam das Angebot, einen zwar schon etwas älteren, aber noch aufrüstbaren und funktionierenden Computer geschenkt zu bekommen. PLUS! PLUS! Mein Plus. Ich mache Plus! Hämmerte es in meinem Hirn. 5 Stunden wie doof grüne Kerze anstarren hat nicht nur gewirkt, sondern schien sich auch schon zu lohnen. Das heißt, nicht ganz umsonst, mehr im Austausch. Das Schicksal meines alten, im Metro Market erstandenen Computers sollte ein schrecklicher Horror sein. Ihm drohten die behenden Finger eines zerteilungswütigen Bastlers. Urteil: Tod durch Ausschlachten.
Ich hatte also endlich wieder einen Computer, konnte mich durchs www klicken, lesen, chaten usw. Nach weiteren 10 Jahren steht mein mittlerweile auch altersschwacher Zaubercomputer (vor dem es mich zwischenzeitlich doch ängstigt) noch immer an seinem angestammten Platz. Mein treuer Gefährte, mir ans Herz gewachsen wie zwei alte Filzpantoffel an meine wundgelaufenen Füße durch die unendlichen Weiten des Internet, den ich geliebt und gehasst habe, der für alles herhalten musste, was ich ihm an Sachbeschädigung antun wollte, wenn mich andre Menschen furchtbar aufgeregt haben, ich werd ihn bald begraben müssen und ich kann nich behaupten, dass es mich so gar nicht anhebt. Mein Computer teilt meine Erinnerungen, er hat Cookies und Kekskrümel produziert und jede meiner heimlichen Flüsterchats und öffentlichen Diskussionen mit angehört und abgespeichert, wie ein Geliebter, der stetig aufs Neue verletzt und enttäuscht wurde.
Was und wer wäre ich ohne meinen Computer? Ich werde ihn vermissen und wenn er zusammengestaucht wird, wie ein altes Schrottauto, wird ihm die Qual erspart bleiben, wie ich mich nur allzuschnell mit einem neueren Modell über ihn hinwegtröste, mich an fortschrittlicherer Technik erfreue, an schnittigerem Design und jünger an moderner Hard- und Software.
Ich sag mir immer, es wird ihn nicht stören. Er wird es nicht mehr registrieren und protokollieren. Und irgendwie ist es wie mit Menschen. Irgendwann kommt der Tag, an dem die jüngere Frau oder der jüngere Mann mit dem peppigerem Knochengerüst und den neuzeitlicheren Gedanken nur allzuschnell vergangenes vergessen machen. Nur, dass viele Menschen dies noch erleben und Grund genug haben, traurig, wütend und verletzt zu sein.
Einem Computer bleibt sowas glücklicherweise, wie soll ich sagen ...
... erspart. *g*
lg
(c) SW