Dieser Gedanke hat was für sich, und er hat mich zu folgender Assoziationskette geführt. Mehr oder weniger satirisch, je nach Standpunkt des Lesers.

Der Mensch im Paradies isst vom verbotenen Baum. Damit kann er zwischen gut und böse unterscheiden. Und er wird wie Gott. Als erstes erkennt der Mensch, dass er nackt und schutzlos ist. Da er nun wie Gott ist, folgt daraus:
Gott ist nackt und schutzlos.
Der Mensch kann von Anfang an also zwischen gut und böse unterscheiden. Da fragt sich ja nun: wieso braucht es dann noch Jahrtausende später die Gesetzestafeln auf dem Berg Sinai, die Gebote? Haben Adam und Eva nicht gründlich genug gekaut, dass ihnen der Unterschied zwischen gut und böse nochmal aufgeschrieben werden muss?

Fakt ist scheint's: die Menschen handeln anders, als sie es wissen und erkennen. Und Gott konnte sich nicht durchsetzen. Er hat zwar heftig getobt und Strafen wie die Sintflut u.ä.m. verhängt. Aber de facto konnte er sich nicht durchsetzen. Und versuchte es dann eben mit Gesetzen. Tatsächlich folgt daraus ganz logisch:
Gott ist machtlos gegenüber der Willens- und Handlungsfreiheit des Menschen.
Über das Toben und Wüten Gottes im Alten Testament braucht man sich eigentlich auch nicht zu wundern: seit Adam und Eva die Frucht gegessen haben, sind sie wie Gott. D.h. die Menschen können von Gott nicht mehr verlangen, als sie selbst zu bieten haben. Jeder, der seine eigenen Zornes- und Eifersuchtsgefühle kennt, sollte da ein gewisses Verständnis aufbringen.

Anders gesagt:
Gott ist etwas oder jemand, der genauso viel oder wenig Vergebung braucht, wie der Mensch.

Im Alten Testament wird eifrig davon erzählt, wie Gott seinerseits versucht, sich aus dieser Verstrickung zu befreien. Meistens halt ziemlich aggressiv, oder durch Ignorieren der Menschen ("Abwenden des Antlitzes") oder eben durch den Versuch mit den schriftlichen Geboten. Aber wie wir wissen, hat ihm das alles nichts gebracht. Es gibt immer wieder Zoff, er versuchte es nochmal mit den wetternden Visionen der Propheten.

Bis Gott aufgibt und im Neuen Testament zugibt


Hätte Jesus seinen tatsächlichen leiblichen Vater gekannt, wäre das möglicherweise glimpflich ausgegangen. Aber für ein uneheliches Kind der Maria, wie es Jesus war, ist es natürlich leicht, seine ganze kindliche Sehnsucht nach Wurzeln und Allmacht auf den physisch unbekannten Vater zu lenken und seine Sehnsucht in einem verherrlichten Vatergott zu kondensieren.
Statt also als erwachsenes Individuum irgendwann konsequenterweise dahin zu kommen zu sagen "ich vergebe dir, Vater", sagt Jesus: "Vergib mir und ihnen, Vater". Ein Dreher.
Gut möglich, dass Mutter Maria durch beschönigende Stories über ihren ersten Liebhaber ihr Teil dazu beigetragen hat. Gut möglich, dass Jesu Mama ihre eigenen Schuldgefühle, die sie in der damaligen Zeit wegen des vorehelichen Geschlechtsverkehrs vermutlich hatte, auf ihren Sohn projiziert hat. Wie auch immer: auf diesem Dreher im Vater-Sohn-Verhältnis setzt dann wieder die ganze Schuld-Sühne-Litanei auf.

(Psychologisch betrachtet könnte man sogar vermuten, dass die Frauenfeindlichkeit des Paulus Ausdruck seines unbewussten Wissens ist, dass die Mutter Maria - statt ihren Teil der Verantwortung an der Vaterlosigkeit Jesu anzuerkennen - diese Verantwortung in Form von unaufgelösten und projizierten Schuldgefühlen an den Sohnemann Jesus und seine Nachfolger delegiert hat. Also dass Paulus, ohne sich dessen bewusst zu sein, zwischen den Zeilen ausdrückt: "Wenn frau, wenn mama nicht bereit ist, ihren Teil Verantwortung am Geschehen zu tragen, dann kann sie auch nicht erwarten, für voll genommen zu werden.")
Und es gibt in den folgenden Jahrhunderten natürlich wie immer auch wieder die Allmachtsprojektionen auf Gott. Das ist ein bisschen so, als hätten die Menschen gerne noch einen 3. Baum, einen Allmachtsbaum im Garten Eden zum Naschen gehabt. Oder folgten Jesus in seiner Kindersehnsucht nach einem allmächtigen Papa.
Es ist eines der Prinzipien der Religion: Wenn der Mensch ist wie Gott, dann bekommt man etwas Gewünschtes innerhalb des christlich-religiösen Denkens am ehesten dadurch, dass man es zunächst Gott als eine seiner Eigenschaften unterjubelt. Wer also Macht, am besten Allmacht, will, der wird sie als erstes Gott unterstellen. Anders gesagt: Dort, wo Menschen einen allmächtigen Gott behaupten, wollen sie selbst allmächtig sein. Denn sie wissen, dass sie sind wie Gott.
Falls Gott also tatsächlich keine Macht und schon gar keine Allmacht hat, wie es die alten Schriften der Bibel (s.o.) nahelegen, dann rauft der sich seither vermutlich die Haare und grübelt:
"Wie komme ich bloß aus der Nummer raus? Atheismus vielleicht? Die eigene Existenz leugnen? Könnte einen Versuch wert sein."

Amimatani