Der machtlose Gott - ein Gedankenspiel

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Amimatani
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Der machtlose Gott - ein Gedankenspiel

Beitrag von Amimatani »

Default erwähnte in diesem Post die Möglichkeit, dass der biblische Gott ein machtloser Gott sein könnte. Und dass das ganze Gerangel um Bibelauslegungen verschiedenster Richtungen und Theologien schlicht damit zusammenhängen könnte, dass offiziell Gläubige eben diese mögliche Machtlosigkeit nicht ausstehen können und sie aus der christlichen Religion eliminieren wollen.

Dieser Gedanke hat was für sich, und er hat mich zu folgender Assoziationskette geführt. Mehr oder weniger satirisch, je nach Standpunkt des Lesers. ;)

Der Mensch im Paradies isst vom verbotenen Baum. Damit kann er zwischen gut und böse unterscheiden. Und er wird wie Gott. Als erstes erkennt der Mensch, dass er nackt und schutzlos ist. Da er nun wie Gott ist, folgt daraus:

Gott ist nackt und schutzlos.

Der Mensch kann von Anfang an also zwischen gut und böse unterscheiden. Da fragt sich ja nun: wieso braucht es dann noch Jahrtausende später die Gesetzestafeln auf dem Berg Sinai, die Gebote? Haben Adam und Eva nicht gründlich genug gekaut, dass ihnen der Unterschied zwischen gut und böse nochmal aufgeschrieben werden muss? >:->

Fakt ist scheint's: die Menschen handeln anders, als sie es wissen und erkennen. Und Gott konnte sich nicht durchsetzen. Er hat zwar heftig getobt und Strafen wie die Sintflut u.ä.m. verhängt. Aber de facto konnte er sich nicht durchsetzen. Und versuchte es dann eben mit Gesetzen. Tatsächlich folgt daraus ganz logisch:

Gott ist machtlos gegenüber der Willens- und Handlungsfreiheit des Menschen.

Über das Toben und Wüten Gottes im Alten Testament braucht man sich eigentlich auch nicht zu wundern: seit Adam und Eva die Frucht gegessen haben, sind sie wie Gott. D.h. die Menschen können von Gott nicht mehr verlangen, als sie selbst zu bieten haben. Jeder, der seine eigenen Zornes- und Eifersuchtsgefühle kennt, sollte da ein gewisses Verständnis aufbringen. ;)
Anders gesagt:
Gott ist etwas oder jemand, der genauso viel oder wenig Vergebung braucht, wie der Mensch. :lala: Aus Perspektive Gottes gibt es seit der Paradiesgeschichte eine heftige Verstrickung mit dem Menschen. Sie ist darin begründet, dass Gott den Menschen mit Willens- und Handlungsfreiheit gestaltet hat.

Im Alten Testament wird eifrig davon erzählt, wie Gott seinerseits versucht, sich aus dieser Verstrickung zu befreien. Meistens halt ziemlich aggressiv, oder durch Ignorieren der Menschen ("Abwenden des Antlitzes") oder eben durch den Versuch mit den schriftlichen Geboten. Aber wie wir wissen, hat ihm das alles nichts gebracht. Es gibt immer wieder Zoff, er versuchte es nochmal mit den wetternden Visionen der Propheten. :grummel

Bis Gott aufgibt und im Neuen Testament zugibt :lala: : Okay, ich komm nicht raus aus der Nummer mit euch Menschen. Es stimmt: ihr seid wie ich und ich wie ihr, nackt, schutzlos, schwach, sterblich, mit einem geregelten Maß an Selbstherrlichkeit, aber durchaus auch sympathischen, zuweilen heilsamen Eigenschaften, wenn ihr mit der Zeremonialreligion aufhört und mich nicht dauernd auf irgendwelche Podeste in Tempeln stellt. :shock: Er führt das in der Person von Jesus vor.

Hätte Jesus seinen tatsächlichen leiblichen Vater gekannt, wäre das möglicherweise glimpflich ausgegangen. Aber für ein uneheliches Kind der Maria, wie es Jesus war, ist es natürlich leicht, seine ganze kindliche Sehnsucht nach Wurzeln und Allmacht auf den physisch unbekannten Vater zu lenken und seine Sehnsucht in einem verherrlichten Vatergott zu kondensieren.

Statt also als erwachsenes Individuum irgendwann konsequenterweise dahin zu kommen zu sagen "ich vergebe dir, Vater", sagt Jesus: "Vergib mir und ihnen, Vater". Ein Dreher.

Gut möglich, dass Mutter Maria durch beschönigende Stories über ihren ersten Liebhaber ihr Teil dazu beigetragen hat. Gut möglich, dass Jesu Mama ihre eigenen Schuldgefühle, die sie in der damaligen Zeit wegen des vorehelichen Geschlechtsverkehrs vermutlich hatte, auf ihren Sohn projiziert hat. Wie auch immer: auf diesem Dreher im Vater-Sohn-Verhältnis setzt dann wieder die ganze Schuld-Sühne-Litanei auf. :leier:

(Psychologisch betrachtet könnte man sogar vermuten, dass die Frauenfeindlichkeit des Paulus Ausdruck seines unbewussten Wissens ist, dass die Mutter Maria - statt ihren Teil der Verantwortung an der Vaterlosigkeit Jesu anzuerkennen - diese Verantwortung in Form von unaufgelösten und projizierten Schuldgefühlen an den Sohnemann Jesus und seine Nachfolger delegiert hat. Also dass Paulus, ohne sich dessen bewusst zu sein, zwischen den Zeilen ausdrückt: "Wenn frau, wenn mama nicht bereit ist, ihren Teil Verantwortung am Geschehen zu tragen, dann kann sie auch nicht erwarten, für voll genommen zu werden.")

Und es gibt in den folgenden Jahrhunderten natürlich wie immer auch wieder die Allmachtsprojektionen auf Gott. Das ist ein bisschen so, als hätten die Menschen gerne noch einen 3. Baum, einen Allmachtsbaum im Garten Eden zum Naschen gehabt. Oder folgten Jesus in seiner Kindersehnsucht nach einem allmächtigen Papa.

Es ist eines der Prinzipien der Religion: Wenn der Mensch ist wie Gott, dann bekommt man etwas Gewünschtes innerhalb des christlich-religiösen Denkens am ehesten dadurch, dass man es zunächst Gott als eine seiner Eigenschaften unterjubelt. Wer also Macht, am besten Allmacht, will, der wird sie als erstes Gott unterstellen. Anders gesagt: Dort, wo Menschen einen allmächtigen Gott behaupten, wollen sie selbst allmächtig sein. Denn sie wissen, dass sie sind wie Gott.

Falls Gott also tatsächlich keine Macht und schon gar keine Allmacht hat, wie es die alten Schriften der Bibel (s.o.) nahelegen, dann rauft der sich seither vermutlich die Haare und grübelt:

"Wie komme ich bloß aus der Nummer raus? Atheismus vielleicht? Die eigene Existenz leugnen? Könnte einen Versuch wert sein." :lol:

Amimatani
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gabor
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Re: Der machtlose Gott - ein Gedankenspiel

Beitrag von gabor »

Huch....ein kleiner Prometheus!

Bedecke deinen Himmel, Zeus,

Mit Wolkendunst!

Und übe, Knaben gleich,

Der Disteln köpft,

An Eichen dich und Bergeshöh'n!

Mußt mir meine Erde

Doch lassen steh'n,

Und meine Hütte,

Die du nicht gebaut,

Und meinen Herd,

Um dessen Glut

Du mich beneidest.



Ich kenne nichts Ärmeres

Unter der Sonn' als euch Götter!

Ihr nähret kümmerlich

Von Opfersteuern

Und Gebetshauch

Eure Majestät

Und darbtet, wären

Nicht Kinder und Bettler

Hoffnungsvolle Toren.



Da ich ein Kind war,

Nicht wußte, wo aus, wo ein,

Kehrt' ich mein verirrtes Auge

Zur Sonne, als wenn drüber wär

Ein Ohr zu hören meine Klage,

Ein Herz wie meins,

Sich des Bedrängten zu erbarmen.



Wer half mir

Wider der Titanen Übermut?

Wer rettete vom Tode mich,

Von Sklaverei?

Hast du's nicht alles selbst vollendet,

Heilig glühend Herz?

Und glühtest, jung und gut,

Betrogen, Rettungsdank

Dem Schlafenden dadroben?



Ich dich ehren? Wofür?

Hast du die Schmerzen gelindert

Je des Beladenen?

Hast du die Tränen gestillet

Je des Geängsteten?

Hat nicht mich zum Manne geschmiedet

Die allmächtige Zeit

Und das ewige Schicksal,

Meine Herren und deine?



Wähntest du etwa,

Ich sollte das Leben hassen,

In Wüsten fliehn,

Weil nicht alle Knabenmorgen-

Blütenträume reiften?



Hier sitz' ich, forme Menschen

Nach meinem Bilde,

Ein Geschlecht, das mir gleich sei,

Zu leiden, weinen,

Genießen und zu freuen sich,

Und dein nicht zu achten,

Wie ich!...mit "ich" ist jetzt aber nicht zwangläufig "ICH" gemeint!!!:-)))


Bei soviel Aufgeschlossenheit erstaunt mich allerdings der Umstand,dass Du als Fundament für Deine Argumentation das grosse Märchenbuch hernimmst!
Immer bereit!
Woher soll ich wissen, ob die Vergangenheit keine Fiktion ist, die nur erfunden wurde, um den Zwiespalt zwischen meinen augenblicklichen Sinneswahrnehmungen und meiner Geistesverfassung zu erklären?
Amimatani
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Re: Der machtlose Gott - ein Gedankenspiel

Beitrag von Amimatani »

gabor hat geschrieben: (Prometheus)
Für diejenigen, die lieber hören als lesen:

http://www.youtube.com/watch?v=p84YdLr0xAM
ab Minute 2:55 bis ca. 9.

In meiner eigenen Sturm- und Drangzeit mit ca. 20-25 habe ich es sehr geliebt; danke für die Erinnerung. :)
gabor hat geschrieben: Bei soviel Aufgeschlossenheit erstaunt mich allerdings der Umstand,dass Du als Fundament für Deine Argumentation das grosse Märchenbuch hernimmst!
Immer bereit!
Tatsächlich ist es keine Argumentation gewesen, sondern eine durchaus zulässige Interpretation der Bibel, die auch für einen gläubigen Menschen gültig sein könnte. (Also erst vom Kopf auf die Füße gestellt, dann wieder auf den Kopf ;), wenn man es rein intellektuell betrachtet.)

Die Mythen der Bibel habe ich als Bezugspunkt genommen, weil gerade aus diesem Buch (und aus dem Koran) ein "allmächtiger" Gott abgeleitet wird. (Und weil der Ausgangspunkt meiner Skizze die Diskussion im Thread über das Christentum war; dort hätte es aber den Rahmen gesprengt.) Die griechischen Götter, an welche sich Prometheus wendet, sind niemals als allmächtig geschildert worden.

Die "Allmacht" ist eines der geläufigsten Attribute, die Menschen einer monotheistischen Gottheit zuschreiben. Und tatsächlich wirken nicht zuletzt die Beschreibungen der Jesus-Aussagen und -Erlebnisse im neuen Testament wie ein Wink mit dem Zaunpfahl, dass diese Allmachtsvorstellung schon damals nicht länger zu einer Gottesvorstellung passten. (Falls das stimmt, ist es aber auch nicht sonderlich erstaunlich, dass das in Windeseile nach dem Tod Jesu aus den Texten und Überlieferungen herausgeschrieben und die Allmacht unter kryptischen Schleiern wieder hineingeschrieben wurde. :D )

Und um den persönlichen Aspekt zu ergänzen (wen's interessieren sollte), weshalb ich mich auf die Mythen der Bibel bezogen habe (und aktuell im Christentums-Thread diskutiere):
ich bin in Westdeutschland aufgewachsen, und zwar sehr gründlich auch mit der Bibel. Mit 17 war ich so "bibelkundig", dass ich sie und den daran hängenden Glauben als inakzeptabel abgehakt hatte und mich auf den "Prometheus-Weg" begab. Das ging bis Mitte 30 gut, dann gab's allerlei notwendige Lebensentscheidungen, welche auf dieser Basis nicht mehr sinnvoll getroffen werden konnten. Ich lernte im weiteren Verlauf viel Esoterisches, Heidnisches und Magisches kennen, das meistens kaum tragfähiger war als die religiösen Lehren meiner Kindheit. Oft sogar sehr viel beschränkender.

Also habe ich angefangen, meinen Weg durch die vielen "Beschränktheiten" der Weltanschauungen zu stapfen, nach vorne zu gehen und gelegentlich nach hinten blickend bis heute immer wieder neu zu überprüfen: "Was hat mich in die Irre geführt? Was hat mich weiter geführt? Was fehlt? Was will ich ergänzen? Was weglassen?" usw.. Dabei komme ich um Crowley-Texte so wenig drumherum, wie um Marx et.al. und Feministinnen, auch nicht um die "Hexen-Angänge", nicht um Freud, nicht um C.G. Jung usw. usf., und eben auch nicht um die Bibel, welche in meiner Biographie halt die erste Weltanschauung enthielt, von der ich geprägt wurde.

Im Alltag ist Prometheus für mich nach wie vor am hilfreichsten. Aber meine heutige Perspektive ist eben nicht mehr die reine Prometheus-Perspektive meiner Sturm- & Drang-Zeit. Mittlerweile anerkenne ich schon länger (und weiß es von mir selbst), dass es auf der subjektiven Ebene für Menschen das Erleben des Göttlichen geben kann. Man könnte das unter "Psychologie" fassen, oder man lässt es eben als individuelles Erleben stehen.

Nur eines sollte man mit diesen (in erster Linie) Gefühlen nicht tun: daraus eine verallgemeinerbare Lehre ableiten. Oder sie den i.d.R. unfreiheitlichen existierenden Systemen (egal ob Religion oder Magie o.ä.) unterordnen. Insofern lebe ich also persönlich in Bezug auf äußere Dinge und den Alltag in erster Linie die Prometheus-Rolle, kann in Denken und Fühlen aber auch manche subjektive (!) spirituelle und religiöse Perspektiven nachvollziehen oder einnehmen. Nicht im chaosmagischen Sinne (also der pragmatischen Wahl der Perspektive), sondern im Sinne einer Parallelität, Gleichzeitigkeit der Perspektiven. Ist ein bisschen kompliziert zu erklären, aber wenn man älter ist, fällt es einem scheint's leichter, durchaus widersprüchliche Dinge und Sichten in sich selbst zusammen zu halten. :lol:

Amimatani