Thomas Harris und sein Kannibale

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Azazel
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Thomas Harris und sein Kannibale

Beitrag von Azazel »

Der Schriftsteller Thomas Harris lebt sehr zurückgezogen und scheut die Öffentlichkeit. Geboren wurde er 1940 in Jackson, Tennessee, aber schon als kleiner Junge zog er mit seinen Eltern nach Rich, Mississippi, der Heimatstadt seines Vaters. Später besuchte Harris die Baylor Universität in Waco, Texas. Er belegte Englisch als Hauptfach und arbeitete nebenher als Reporter für die News-Tribune um sein Studium zu finazieren.
Zu dieser Zeit heiratete er seine Studienkollegin Harriet, mit der er eine gemeinsame Tochter hatte, doch bereits in den 60er Jahren ließ sich das Ehepaar wieder scheiden. Danach fing Harris an, Kurzgeschichten zu schreiben, die er an Magazine wie TRUE und ARGOSY sandte. Bereits diese Stories zeigten die spätere Stärke Harris' seine Vorliebe für absolute Detailversessenheit. Dies ist mitunter einer der Gründe, warum es jedesmal so lange dauert, bis der Autor einen Roman fertig hat. Nach seinem Studium arbeitete Harris schließlich als Reporter für die Associated Press in New York, wo er sich viele Informationen über die Welt des Verbrechens aneignete, was auch der Grundstock für die Recherchen seiner späteren Bücher war.
Sein erster Roman Schwarzer Sonntag, in dem es um eine Gruppe arabischer Terroristen geht, die mit Hilfe eines Vietnam-Veteranen ein einzigartiges Attentat planen, wurde1975 veröffentlicht.. Der Roman erhielt unterschiedliche Kritiken, aber für Harris bedeutete er das Ende der Journalisten-Laufbahn und den Beginn seiner Schriftstellerkarriere. Bereits ein Jahr später ist BLACK SUNDAY von John Frankenheimer verfilmt worden.

Nun fing Harris an sich dem Thema Serienkiller zu widmen und begann den ersten Roman der Hannibal Lecter-Trilogie – Roter Drache zu schreiben.

Der Roman Roter Drache ist der erste aus der Hannibal Lecter-Reihe.
Darin geht es um die gestörte Persönlichkeit Francis Dolarhyde, der sich "Roter Drache" nennt und bei Vollmond bereits zwei Familien umgebracht hat. Die zur Aufklärung eingesetzte FBI-Mannschaft unter der Leitung von Special Agent Jack Crawford tappt im Dunkeln und bittet deshalb ihren ehemaligen Kollegen Will Graham, in den Fall einzusteigen. Graham gilt als Experte in Sachen Profiling, denn kaum jemand ist wie er in der Lage, sich in die Persönlichkeit eines Serienmörders hineinzuversetzen.
Allerdings hat er das FBI auf eigenen Wunsch verlassen, weil er einst bei der Festnahme eines gewissen Dr. Hannibal Lecter beinahe ums Leben gekommen wäre, was Graham für längere Zeit ins Krankenhaus und Lecter dagegen in die geschlossene Abteilung einer Klinik für psychopathische Verbrecher gebracht hat.
Da Graham mit dem Fall des Roten Drachen nicht weiterkommt, besucht er in der Klinik Dr. Hannibal Lecter, um ihn nach seiner Meinung zu fragen, woraufhin Graham heimlich von der Presse photographiert und auf der Titelseite mit den Ermittlungsarbeiten in Verbindung gebracht wird. Ab sofort schliddert Graham viel tiefer in den Fall, als ihm lieb ist, denn kurz darauf schreibt der Rote Drache auch noch eine Art Fan-Brief an Lecter und bittet ihn um eine Antwort in Form einer Zeitungsannounce. Lecter kommt dem Wunsch des Roten Drachen nach und plaziert im National Tattler eine verschlüsselte Anzeige. Darin steht, daß der Rote Drache Graham umbringen soll.
Das Buch ist packend und spannend geschrieben. Die Polizeiarbeit wird akribisch beschrieben und immer wieder unterbrochen von den Einblicken in die Psyche des Serienkillers.
Dollarhyde, dessen Wahnsinn mehr und mehr durchdringt, beginnt mit dem Roten Drachen – ein Motiv des engl. Malers und Dichters William Blake Zwiegespräche zu führen Das geht sogar soweit, daß Dolarhyde in einem Museum das Aquarell von Blake "Der große, rote Drache und die mit Sonne bekleidete Frau" aufißt (!), um dadurch seine gespaltene Persönlichkeit zu eliminieren.
Der große Erfolg des Romans und seine beiden Verfilmungen ‚Blutmond’ bzw. ‚Red Dragon’, wobei erstere sich eher an die Romanvorlage hält und letztere dafür durch eine bessere schauspielerische Besetzung glänzt (Edward Norton, Ralph Fiennes und Sir Anthony Hopkins) bringt Harris auf den Geschmack und er schreibt einen zweiten Roman, in der die Figur des kannibalistischen Mörders Lecter mehr in den Mittelpunkt rückt – Das Schweigen der Lämmer.

Die Grundstruktur vom Schweigen der Lämmer ist die gleiche wie in Harris Vorgängerroman Roter Drache geblieben:
Das FBI versucht unter Mithilfe von Dr. Hannibal Lecter einen Serientäter zu fassen. Dabei setzt auch dieser Roman erst nach dem letzten Mord des Psychopathen ein und endet, bevor er ein weiteres Opfer töten kann. Die Ermittlungen über die Suche nach dem Irren Jame Gumb, der seine weiblichen Opfer häutet, um sich ein Kleid aus Frauenhaut zu nähen, leitet erneut Special Agent Jack Crawford. Will Graham steht im diesmal leider nicht mehr zur Verfügung, dieser hat sich zu einem Alkoholiker entwickelt. Deshalb greift Crawford auf die junge FBI-Studentin Clarice Starling zurück. Zunächst geht es Crawford gar nicht um Jame Gumb, sondern um ein psychologisches Profil von Dr. Lecter, der bislang nie dazu bereit war, sich einem Persönlichkeitstest zu unterziehen. Crawford schickt Starling zu ihm, in der Hoffnung, daß Dr. Lecter bei einer Frau vielleicht kooperativer sein wird. Der Kannibale gibt Starling wider Erwarten einen Tip, in dem Nachlaß eines seiner Patienten herumzustöbern. Dort findet Starling einen abgetrennten Kopf, mit dem das FBI zunächst nicht viel anfangen kann. Anschließend wird eine Wasserleiche angeschwemmt. Die Tote stellt ein weiteres Opfer von Jame Gumb dar, und in ihrem Hals entdeckt man ein Insekt. In dem abgetrennten Kopf findet das Labor kurz darauf das gleiche Insekt. Fortan ist klar, daß Dr. Lecter mehr über den Frauenhäuter wissen muß, und man beauftragt Starling mit weiteren Nachforschungen. Doch der Kannibale ist gerissen, denn er läßt sich nicht so ohne weiteres benutzen. Allerdings sitzt dem FBI die Zeit im Nacken, denn Jame Gumb hat diesmal die Tochter einer Senatorin entführt, und jetzt geht es nicht nur um die Rettung des Mädchens, sondern auch um interne Streitigkeiten. Jeder will sein Stück vom Kuchen abbekommen, wenn der Serienmörder gefaßt wird, und Dr. Hannibal Lecter wird zum heißbegehrten Objekt, schließlich ist er der Schlüssel zum Erfolg.
Der Roman THE SILENCE OF THE LAMBS ist an Spannung kaum noch zu übertreffen
Die Charaktere sind noch gereifter und das Buch lässt einem keinen Moment mehr los.

Die Verfilmung von Jonathan Demme aus dem Jahre 1990 steht dem Roman in nichts nach und schaffte es als erster Serienkiller-Horrorfilm 5 der begehrten Oskars einzuheimsen und dies zu Recht; denn nie waren Jodie Foster und Anthony Hopkins besser als in diesem Meisterwerk des Suspense-Thrillers. Kritiker gehen sogar soweit den Film mit Psycho von Alfred Hitchcock zu vergleichen, eine Tatsache die auch darauf beruht, dass beide Filme auf die wahren Verbrechen des ED Gein zurückgehen, der in den 50er Jahren in den USA eine Anzahl von Frauen tötete. Wer sich übrigens über Serienkiller näher informieren will, findet auch auf undefined://www.daemonen.de in der Rubrik ‚Dämonen in uns’ Infos und Literaturempfehlungen.

11 Jahre nach dem großen Erfolg seines Romans, veröffentlichte Thomas Harris schließlich 1999 die Fortsetzungsgeschichte ‚Hannibal’
Sieben Jahre sind nach den Ereignissen aus THE SILENCE OF THE LAMBS vergangen. Clarice Starlings kurzer Ruhm, der ihr nach der Festnahme von Jame Gumb zuteil geworden war, hat sich schnell wieder verflüchtigt. Ihre Karriere ist auf dem absteigenden Ast, weil Deputy Assistant Inspector General Paul Krendler, eine Führungspersönlichkeit beim FBI, ihr jeden nur erdenklichen Stein in den Weg legt.
Krendler war einst selbst scharf auf die Festnahme von Jame Gumb gewesen und hat es Starling seitdem nie verziehen, daß ihr der Fisch ins Netz gegangen ist, und nicht ihm.
Aus diesem Grund hat Krendler einen Pakt mit Mason Verger geschlossen, einem steinreichen, aber völlig verkrüppelten und ans Bett gefesselten Mann, der eine jahrelang zurückliegende Begegnung mit Dr. Hannibal Lecter durch viel Glück überlebt hat. Verger will den nach wie vor auf freiem Fuß befindlichen Kannibalen lebend haben, um ihn aus Rache langsam von seinen Schweinen auffressen zu lassen. Krendler würde viel Geld erhalten, wenn es ihm gelänge, Dr. Lecter am FBI vorbei in Vergers Hände zu schmuggeln. Das Hauptproblem ist jedoch Starling, die sehr hoch in Dr. Lecters Gunst steht. Als Starling einen Polizeieinsatz mit einer folgenschweren Schießerei vermasselt, bedeutet dies um ein Haar das endgültige Aus für ihre Karriere, doch da erhält sie einen persönlichen Brief von Dr. Lecter, und die bislang im Sand verlaufene Suche nach dem Serienmörder gerät erneut in die Gänge. Starling erkennt ihre letzte Chance, sich beim FBI zu behaupten.

Thomas Harris war sich durchaus der Schwierigkeit bewußt, daß sein dritter Dr. Lecter-Roman anders werden mußte als die vorangegangenen zwei. Schließlich ist Dr. Lecter bei den Fans mittlerweile so populär, daß man es Harris wohl nie verziehen hätte, hätte er den Kannibalen bei seinem dritten Auftritt nicht zur Gänze in den Mittelpunkt der Geschichte gestellt.
Ob das eine gute Idee war oder nicht, ist Ansichtssache. In den ersten beiden Romanen glänzte Dr. Lecter als undurchsichtiger Drahtzieher im Hintergrund, was ihm eine geheimnisvolle und bedrohliche Aura verlieh. In HANNIBAL hingegen wird er regelrecht ins Rampenlicht gezerrt, weshalb mit dem Voranschreiten der Handlung langsam aber sicher Abnutzungserscheinungen auftreten. Seine ständige Präsenz bedeutet für Dr. Lecters Charisma keine positive Weiterentwicklung, da er sich in den Augen des Lesers immer mehr in einen "normalen" Menschen verwandelt, während er früher eine unheimliche, nicht greifbare und schier allwissende Persönlichkeit darstellte. Dr. Lecters Figur war bisher nur deshalb so wirksam, weil sie aufgrund der Methode des Aussparens hervorragend funktionierte. Von seinem Leben waren höchstens Einzelheiten bekannt, weshalb man sich nie ein echtes Bild von Lecter machen konnte, und wenn man es trotzdem tat, mußte man die Lücken mit seiner eigenen Phantasie auffüllen. In HANNIBAL stopft Harris ein
paar dieser Lücken selbst und entzaubert dadurch um ein Haar den Mythos um den Kannibalen. Nun scheint Lecter plötzlich nicht mehr der Wirklichkeit entrückt, denn jetzt befindet er sich fast schon auf der gleichen Ebene wie die Serientäter, zu dessen Aufklärung man ihn einst hinzugezogen hatte.
Auch die Verfilmung von Ridley Scott aus dem Jahr 2001 kann nicht mehr an Demmes Meisterwerk heranreichen, obwohl der Film durchaus mit metaphysischen Aspekten, gepaart mit harten Gewaltszenen aufwarten kann ist der Mythos um Hannibal the Cannibal wohl schon ausgereizt gewesen.

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