Rimbaud - Ophelia

Moderator: Cpt Bucky Saia

Noriel de Morville
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Rimbaud - Ophelia

Beitrag von Noriel de Morville »

Ophelia von Arthur Rimbaud( Rimbaud war der Geliebte des Lyrikers Paul Verlaine)

I.
Auf stiller, dunkler Flut, im Widerschein der Sterne,
geschmiegt in ihre Schleier, schwimmt Ophelia bleich,
sehr langsam, einer großen weißen Lilie gleich.
Jagdrufe hört man aus dem Wald verklingen ferne.

Schon mehr als tausend Jahre sind es,
daß sie, ein bleich Phantom, die schwarze Flut hinzieht,
und mehr als tausend Jahre flüstert schon sein Lied
ihr sanfter Wahnsinn in den Hauch des Abendwindes.

Die Lüfte küssen ihre Brüste sacht und bauschen
zu Blüten ihre Schleier, die das Wasser wiegt.
Es weint das Schilf, das sich auf ihre Schulter biegt.
Die Weiden über ihrer hohen Stirne rauschen.

Im Schlummer einer Erle weckt sie hin und wieder
Ein Nest, aus dem ein kleines Flügelflattern schlägt.
Die Wasserrosen seufzen, wenn sie sie bewegt.
Ein Weiheklang fällt von den goldnen Sternen nieder.

II.
Ophelia, bleiche Jungfrau, wie der Schnee so schön,
die du, ein Kind noch, starbst in Wassers tiefem Grunde:
weil dir von rauher Freiheit ihre leise Kunde
die Stürme gaben, die von Norwegs Gletschern wehn.

Weil fremd ein Föhn, der dir die Haare peitschte, kam
Und Wundermär in deinen Träumersinn getragen;
weil in dem Seufzerlaut der Bäume und im Klagen
der Nacht dein Herz die Stimme der Natur vernahm.

Weil wie ein ungeheures Röcheln deinen Sinn,
den süßen Kindersinn, des Meeres Schrei gebrochen;
weil schön und bleich ein Prinz, der nicht ein Wort gesprochen,
im Mai, ein armer Narr, dir saß zu deinen Knien.

Von Liebe träumtest du, von Freiheit, Seligkeit;
du gingst in ihnen auf wie leichter Schnee im Feuer.
Dein Wort erwürgten deiner Träume Ungeheuer.
Dein blaues Auge löschte die Unendlichkeit.

III.
Nun sagt der Dichter, daß im Schoß der Nacht du bleich
die Blumen, die du pflücktest, suchst, in deine Schleier
gehüllt, dahinziehst auf dem dunklen, stillen Weiher,
im Schein der Sterne, einer großen Lilie gleich.
Zuletzt geändert von Noriel de Morville am 13. Dez 2006 08:21, insgesamt 1-mal geändert.
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Mystery
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Beitrag von Mystery »

Ah ja, Orphelia...
Ich liebe Gedichte im expressionistischem Stil und Orphelia kann meiner Meinung nach nichts mehr aus dieser Epoche toppem.
Erlaube mir noch ein weiteres Gedicht hinzu zufügen:

Gottfried Benn
MORGUE (Leichenschauhaus)
Schöne Jugend (1912)

Der Mund eines Mädchens, das lange im Schilf
gelegen hatte,
sah so angeknabbert aus.
Als man die Brust aufbrach, war die Speiseröhre so
löcherig.
Schließlich in einer Laube unter dem Zwerchfell
fand man ein Nest von jungen Ratten.
Ein kleines Schwesterlein lag tot.
Die anderen lebten von Leber und Niere,
tranken das kalte Blut und hatten
hier eine schöne Jugend verlebt.
Und schön und schnell kam auch ihr Tod:
Man warf sie allesamt ins Wasser.
Ach, wie ihre kleinen Schnauzen quietschten!

Ich weiß nicht genau warum, aber ich fühle mich von diesem Gedicht am meisten berührt...

Gruß,
Mystery :o
Bist du wütend, zähle bis vier, bist du sehr wütend, fluche.
Mark Twain, Erzähler, 1835-1910
Noriel de Morville
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Beitrag von Noriel de Morville »

Du kannst hier gerne auch Gedichte einstellen, liebe Mystery. ich freue mich über jeden Lyrikbegeisterten. Danke dir...
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Mystery
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Beitrag von Mystery »

Vielen Dank, Noriel, ich werde deinen Worten auch gleich Folge leisten und noch ein weiteres Gedicht zum Besten geben:

Georg Heym
Ophelia I (1910)

Im Haar ein Nest von jungen Wasserratten,
Und die beringten Hände auf der Flut
Wie Flossen, also treibt sie durch die Schatten
Des großen Urwalds, der im Wasser ruht.

Die letzte Sonne, die im Dunkel irrt,
Versenkt sich tief in ihres Hirnes Schrein.
Warum sie starb? Warum sie so allein
Im Wasser treibt, das Farn und Kraut verwirrt?

In dichtem Röhricht steht der Wind. Er scheucht
Wie eine Hand die Fledermäuse auf.
Mit dunklem Fittich, von dem Wasser feucht
Stehn sie wie Rauch im dunklen Wasserlauf,

Wie Nachtgewölk. Ein langer weißer Aal
Schlüpft über ihre Brust. Ein Glühwurm scheint
Auf ihrer Stirn. Und die Weide weint
Das Laub auf sie und ihre stumme Qual.


Hach, ich liebe den Expressionismus...
Bist du wütend, zähle bis vier, bist du sehr wütend, fluche.
Mark Twain, Erzähler, 1835-1910
Noriel de Morville
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Beitrag von Noriel de Morville »

Nichts zu danken, liebe Mystery, das Forum lebt durch die Beiträge und den Entusiasmus der Mitglieder. Ich freue mich immer über begeisterte Beiträge und engegierte Mitschreiber.
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Mystery
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Beitrag von Mystery »

Vielen Dank, Noriel de Morville

Gruß,
Mystery :o
Bist du wütend, zähle bis vier, bist du sehr wütend, fluche.
Mark Twain, Erzähler, 1835-1910

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