Dunkel ist es, kalt und still. Ich bin allein, ganz allein, niemand kann mich hier erreichen, nichts kommt an mich heran und ebenso wenig komme ich hinaus. Ich kenne diesen Ort, kenne ihn gut, war schon tausende von malen hier, manchmal oft hintereinander und sehr lange, manchmal in großen Zeitabständen nur für kurze Zeit. Mein Verstand sagt mir das ich nicht hier sein will, obwohl er es oft genug ist der mich hier her schickt. Meine Gefühle sind im Zwiespalt, es ist nicht richtig hier zu sein, jedes mal wenn ich es zulasse werden die eisigen Mauern dicker, andererseits ist es sicher hier, nichts kann mich verletzen an diesem Ort.
Ich frage mich warum ich hier bin, vielleicht ist diese reflektive Haltung schon ein Fortschritt, den früher habe ich mich nur in die Ecke gekauert und gewartet bis es vorbei war, heute hinterfrage ich. Ich hinterfrage den Grund meiner Traurigkeit und warum ich sie nicht ausleben kann, sie stattdessen aussperre indem ich in meine Höhle aus Eis krieche.
Nein, eigentlich hinterfrage ich nicht den Grund, ich kenne ihn schon. Ich habe es so gelernt. Jahr um Jahr, Tag um Tag hat man mir beigebracht das Weinen ein Zeichen für Schwäche ist und das schwache Menschen zum scheitern verurteilt sind, bis ich es verinnerlicht hatte. Ich darf nicht schwach sein, ich darf nicht weinen. Damals begann ich mich für die Tränen zu schämen, der Grund der Trauer spielte dabei keine Rolle und ich baute diesen Gefrierschrank in meinem Inneren, schlug Blöcke aus dem See meiner ungeweinten Tränen heraus und schichtete sie auf, solange bis ich einen Raum erschaffen hatte in dem mich nichts erreichen kann, in dem ich allem gleichgültig entgegen sehen kann und ich verlernte das Weinen.
Was ich heute hinterfrage wenn ich in diesem Raum bin, ist die Tatsache dass es mir nicht gelingt es Rückgängig zu machen. Inzwischen bin ich kein Kind mehr und vom Verstand her weiß ich dass es nichts Schlechtes oder Verbotenes ist zu weinen, das es im Gegenteil sogar befreiend wirken soll. Warum also ist es mir nicht möglich es zu tun auch wenn ich noch so traurig bin und meine Kehle sich vor Anstrengung, die Tränen zurückzuhalten, so fest zusammenschnürt das ich kaum noch atmen kann.
Es muss doch einen Weg durch das Eis geben. Manchmal sehe ich ihn sogar ganz schwach hindurchschimmern aber erreichen kann ich ihn nicht. So viele lodernde Feuer trage ich in mir, aber keines kann ich dazu benutzen die Mauern zu schmelzen die so viele Jahre hatten um zu wachsen und hart zu werden wie Diamant.
Ich lag letztlich im Bett und mir war ein wenig wehmütig. Man kann wohl sagen das ich dem Vergangenen Leben nachtrauerte, auch wenn ich mich auf das welches grade angefangen hat sehr freue. Es gingen mir einfach so ein paar Sachen durch den Kopf die nun vorbei sind und um diese trauerte ich. Ich merkte wie sich mir die Kehle zuschnürte, doch meine Augen blieben trocken. So gern hätte ich dem Mann an meiner Seite erzählt was mich bewegt und in seinen Armen ein paar Tränen vergossen. Es hätte so einfach sein können, doch ich konnte nicht, weil ich nicht schwach sein darf, den schwache Menschen scheitern. Aber wie stark bin ich, wenn es mir noch nicht einmal gelingt selbst erbaute Mauern einzureißen?
Jenseits des Eises (35)
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Mein Vater hatte mir einmal, als ich als Kleinkind von meinem Roller gefallen bin und geweint habe gesagt, dass Männer niemals weinen! Das hatte sich tief und langfristig eingeprägt und steckt mir auch heute noch im Hals. Ich seitdem niemals wieder geweint!...ein paar Tränen im Auge ja, aber mehr habe ich stets unterdrückt!
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Das traurige ist, das Erwachsene gar nicht darüber nachdenken was sie den Kindern da sagen glaube ich. Ich hab mich selbst schon oft genug bei dem Satz "Ein Indianer kennt keinen Schmerz" erwischt wenn ich ein Kind trösten wollte.
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