Ockhams Rasiermesser und seine Anwendung

Psychologische, philosophische und wissenschaftliche Betrachtungen

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khezef
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Ockhams Rasiermesser und seine Anwendung

Beitrag von khezef »

Ockhams Rasiermesser und ihre Anwendung

Nach einem gestrigen Chat und diversen lustigen Geschichten, warum denn nun Chaos auf der Welt und in unseren Köpfen herrscht dachte ich mir, dass es an der Zeit ist einmal etwas zu dem guten Herren Ockham zu schreiben.

Der Gute ist nicht zu verwechseln mit dem Ogham, den Stöckchen mit irischem Gekrackel drauf, sondern ist einer der einflussreichsten Vertreter der mittelalterlichen Scholastik. Am Bekanntesten ist er allerdings für seinen Rasierer, welcher noch heute in der wissenschaftlichen Theorieformulierung seine Anwendung findet. Das Grundprinzip ist relativ simpel:

1) Wenn mehrere Erklärungen für einen Sachverhalt existieren, ist im Regelfall die einfachste allen anderen vorzuziehen.
2) Einfache Theorie bedeutet in dieser Hinsicht, mit der geringstmöglichen Anzahl an Faktoren und Variablen, welche in einem klaren logischen Zusammenhang zueinanderstehen und aus dem sich der genannte Sachverhalt logisch folgt.

Kurz und knapp, eine Theorie oder Hypothese sollte sich bei den beschriebenen Faktoren nur auf die nötigen und relevanten beschränken, anstatt wie ein Kracke ihre Tentakel in jede unnötige Ritze zu stecken.

Als anschauliches Beispiel aus der allseits beliebten Mathestunde:
Algebra in Gleichungen kommt gerne einmal auf und sorgt für ächzende Köpfe. Gleichungen sollten dabei immer möglichst auf wenig Variablen herunter zu brechen sein. Es macht keinen Sinn einen Ausdruck hinein zu packen, der in keinen Zusammenhang mit allen anderen Variablen darinsteht.

Was ist das? Mein psychisches Talent fängt folgenden Ruf aus dem Publikum der Zukunft auf:
Aber es ist in diesem Universum doch alles verbunden! Denk doch an den Butterfly-effekt, wenn ein Sack Reis in China umfällt und in Amerika die Leute dafür den Russen die Schuld geben und deshalb Tibet immer noch nicht frei ist.
Und da muss ich den Zuschauern aus der Zukunft recht geben, das ist ein guter Punkt. Ockhams Rasiermesser dient jedoch dazu einen Sacherhalt mit den Faktoren zu erklären, die damit in direkten und messbaren oder nachvollziehbaren Zusammenhang stehen.

Wenn die Polizei zu einem Autounfall kommt und die Zeugen befragt und eventuell auch nach dem einen oder anderen Tropfen Ethanol im Atem oder Blut der betroffenen Fahrer sucht, dann spielt es eher weniger eine Rolle, ob der Polizeichef damals im Kindergarten den letzten Löffel Grießbrei nicht gegessen hat.
Einen Zusammenhang gibt es über die Beteiligung des Polizeichefs am Fall sicherlich, aber den Grießbreirest als Faktoren für das Auflösen des Falles als Faktor miteinzubeziehen ist….. ich glaube das Prinzip der Anwendung wird deutlich.

Das Sparsamkeitsprinzip Ockhams mag nicht unfehlbar sein, es ist aber ein elementarer Bestandteil der modernen Wissenschaftspraxis geworden sowie eine nette praktische Anwendung im Alltag zum Analysieren von Sachverhalten und Argumenten.

Also, bevor das nächste Mal die Idee von reptiloiden Overlords aufkommt, die uns durch versteckte Fernsehreize extern manipulieren und alles Böse auf dieser Welt verursachen, lohnt sich die Überlegung, ob unser eignes Reptilienhirn dazu nicht gar schon ausreicht. Sex und Essen als Grundgedanken sind doch so schon eine wahre Freud.

Khezef
Remus Horizon
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Re: Ockhams Rasiermesser und seine Anwendung

Beitrag von Remus Horizon »

Ich liebe und hasse dieses Ding. Es hat mir gute Dienste getan. Richtig angewandt lässt es viel heisse Luft verschwinden. Leider habe ich mich auch schon an dem Ding geschnitten.
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Tyger
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Re: Ockhams Rasiermesser und seine Anwendung

Beitrag von Tyger »

khezef hat geschrieben: Das Grundprinzip ist relativ simpel:

1) Wenn mehrere Erklärungen für einen Sachverhalt existieren, ist im Regelfall die einfachste allen anderen vorzuziehen.
2) Einfache Theorie bedeutet in dieser Hinsicht, mit der geringstmöglichen Anzahl an Faktoren und Variablen, welche in einem klaren logischen Zusammenhang zueinanderstehen und aus dem sich der genannte Sachverhalt logisch folgt.
Die Erklärung "Gott hat es so gemacht" ist nach Ockham also jeder anderen vorzuziehen.
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Re: Ockhams Rasiermesser und seine Anwendung

Beitrag von gabor »

"Trauen Sie niemals allgemeinen Eindrücken, mein Junge, sondern konzentrieren Sie sich auf Einzelheiten." Sherlock Holmes, Eine Frage der Identität "Never trust to general impressions, my boy, but concentrate yourself upon details."

"Wenn Du das Unmögliche ausgeschlossen hast, dann ist das, was übrig bleibt, die Wahrheit, wie unwahrscheinlich sie auch ist." oder: "Wenn man das Unmögliche ausgeschlossen hat, muss das, was übrig bleibt, die Wahrheit sein, so unwahrscheinlich sie auch klingen mag." The Adventure of the Beryl Coronet / Sherlock Holmes "When you have excluded the impossible, whatever remains, however improbable, must be the truth."

"Nichts ist trügerischer als eine offenkundige Tatsache."

Sowas in der Richtung? :lol: :lol:

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Woher soll ich wissen, ob die Vergangenheit keine Fiktion ist, die nur erfunden wurde, um den Zwiespalt zwischen meinen augenblicklichen Sinneswahrnehmungen und meiner Geistesverfassung zu erklären?
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Re: Ockhams Rasiermesser und seine Anwendung

Beitrag von izento »

Tyger hat geschrieben:Das Grundprinzip ist relativ simpel:Die Erklärung "Gott hat es so gemacht" ist nach Ockham also jeder anderen vorzuziehen.
Das schöne an Ockhams Rasiermesser ist, daß die Frage „nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest“ (“life, the universe and everything”) sehr leicht beantwortet werden kann, wenn man sich damit die Pulsadern aufschneidet. :lol:
Mirror
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Re: Ockhams Rasiermesser und seine Anwendung

Beitrag von Mirror »

Tyger hat geschrieben:
khezef hat geschrieben: Das Grundprinzip ist relativ simpel:

1) Wenn mehrere Erklärungen für einen Sachverhalt existieren, ist im Regelfall die einfachste allen anderen vorzuziehen.
2) Einfache Theorie bedeutet in dieser Hinsicht, mit der geringstmöglichen Anzahl an Faktoren und Variablen, welche in einem klaren logischen Zusammenhang zueinanderstehen und aus dem sich der genannte Sachverhalt logisch folgt.
Die Erklärung "Gott hat es so gemacht" ist nach Ockham also jeder anderen vorzuziehen.

khezef hat geschrieben: 2) Einfache Theorie bedeutet in dieser Hinsicht, mit der geringstmöglichen Anzahl an Faktoren und Variablen, welche in einem klaren logischen Zusammenhang zueinanderstehen und aus dem sich der genannte Sachverhalt logisch folgt.
Bitte genau lesen, Tyger.


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Re: Ockhams Rasiermesser und seine Anwendung

Beitrag von Cpt Bucky Saia »

Um sagen zu können "Gott hats gemacht" müßte ja erstmal die existenz von Gott belegt werden und das ist vermutlich schwieriger als jede pysikalische Erklärung zum entstehen von irgendwas.

Aber ich glaub sowieso das der ganze Thread hier nur der ablenkung von den reptiloiden Overlords , die uns durch versteckte Fernsehreize extern manipulieren und alles Böse auf dieser Welt verursachen, dient.
Das ist nämlich genau was sie wollen. Uns in sicherheit wiegen und glauben machen alles sei ganz einfach zu erklären. :lol:
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Remus Horizon
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Re: Ockhams Rasiermesser und seine Anwendung

Beitrag von Remus Horizon »

Das Rasiermesser löst nicht jede Frage, aber es hilft durch ein Miasma an Argumenten, Gründen usw. zu kommen, die dazu dienen sollen, eine Theorie zu beschreiben. Ausserdem kann es einen davon abhalten, irgendwo Dinge zu suchen, wo es nichts gibt.

Aus Sicht eines Detektives ist es klug, auf Details zu achten und ein bestehendes Fakt zu hinterfragen. Sein Antagonist versucht schliesslich, ihn auf die falsche Fährte zu suchen. Bei der Anwendung von Ockhams Razor sollte man auch bedenken, in welcher Situation man sich befindet. Es fängt schon damit an, ob man selbst etwas (wie eine Theorie) aufstellen oder etwas (wie einen Kriminalfall) knacken will. Beim Knacken unterscheidet sich der Kriminalfall wieder vom Verständnis der M-Theorie und wenn man die Ursache einer Seuche klären will, geht man wieder anders vor. In allen Fällen kommen auch andere Mittel zur Aufklärung zum Einsatz.

Ockham behauptet auch nicht, dass sein scharfer Stahl immer beisst.

«Gott ist tot!» Damit erdolchte Nitzsche Gott, sodass viele Menschen heute nur noch ein Gespenst anbeten. Oder stellte er nur fest, dass ihn jemand getötet hat? Oder ist es eine Metapher? Vielleicht hatte es etwas mit Syphilis zu tun? Schwer zu sagen. Eine gewisse Menge an Informationen braucht es, um etwas beurteilen zu können. Zu wenig Variablen führen zu keinen Erkenntnissen.
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Re: Ockhams Rasiermesser und seine Anwendung

Beitrag von izento »

Wenn ich das Rasiermesser mal "Gott" an die Kehle halte, sehe ich nur noch einen alten Wüstendämon namens Jhwh, der es irgendwie geschaft hat sich als Alleinherrscher aufzuspielen.

Die Welt kann doch so einfach sein .... :har:
Remus Horizon
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Re: Ockhams Rasiermesser und seine Anwendung

Beitrag von Remus Horizon »

izento hat geschrieben:Wenn ich das Rasiermesser mal "Gott" an die Kehle halte, sehe ich nur noch einen alten Wüstendämon namens Jhwh, der es irgendwie geschaft hat sich als Alleinherrscher aufzuspielen.

Die Welt kann doch so einfach sein .... :har:
Ah, Monotheismus, die ökonomische Religion… Kein wunder setzte sich der Monotheismus durch, nur noch ein Lam anstatt zwölf… Vielleicht auch ein Grund für die Bevölkerungsexplosion… :lol:
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