Männlich!

Die dämonische Kolumne
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tlahuizcalpantecutli
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Männlich!

Beitrag von tlahuizcalpantecutli »

Oder: Was Hornbach mit dem von jeder Abständigkeit sich befreien wollenden subjektiven Dasein zu tun hat.

Was man eben so macht… wenn die letzte Aufführung erfolgreich seinen Lauf genommen und sein Ende gefunden hat, man feiert ein bisschen. Und setzt es in der Stadt ein bisschen fort, freut sich am Fiddlers, daran dass dieser Irish Pub jetzt größer ist und ein bisschen heller, und am Apfelwein. Und lästert über Hornbachsprüche. Wie chauvi die doch sind, geradezu fascho:
„Herzblut, Wille, Stolz – in jedem Projekt steckt ein Teil von dir!“
„Schmerz ist Schwäche, die den Körper verlässt!“
Aufschriften auf orangefarbenen T-shirts, in denen zumeist lieb guckende kleine Verkäuferinnen stecken.
Man setzt draußen seinen Weg fort und seine Gespräche, die sich krümmen und sich der tieferen Bedeutung des Männlichseins zuwenden. Um ehrlich zu sein, besteht diese Konversation darin, komischen Sachen zu tun, „Männlich!“ zu schreien und zu kichern wie kleine Mädchen. So kommen wir dann an HEMA vorbei, ein Laden, den ich schon seit längerer Zeit mal bemerken wollte, aber es immer vergessen habe, wenn ich in der Stadt war, bis auf diese kleine lästige „Da war doch noch was“ – Stimme im Hinterkopf. Ich freue mich also, rufe „Krass, das is ja HEMA, voll männlich! Yeah!“.
Wende mich um.
Und man guckt mich skeptisch an, runzelt die Stirn und sagt trocken: „Nein. Nicht männlich.“
Stimmt ja… das ist ja Farbe und geschmackvoll und gar nicht männlich… Ich beginne an meinem Verstand zu zweifeln, unbehaglich und still stehen wir herum, gehen vorwurfsvoll und verschämt weiter – Bis „Thomas“ etwas erspäht.
„LEGO! Männlich!“ ruft er aus und rettet die Laune, denn zweifellos ist LEGO männlich, wie uns Kindheitserinnerungen versichern. Grund genug, sich zu freuen, die Nasen gegen die Scheibe zu drücken und uns an LEGO und unserer überschäumenden Männlichkeit zu berauschen.

Was aber ist männlich? Wie kommts, dass ich an jenem Abend alle meine Prinzipien über Bord warf? Die nämlich aussagen, dass alle Menschen bi sind, es nur oberflächliche Unterschiede gibt. Körperlichkeit war für mich schon wichtig… aber ich hatte nicht das Gefühl, dass das Geschlecht viel damit zu tun hat, sich an seiner Gesundheit zu erfreuen.
Klischees kann ich ja sowieso nicht ab. Bin ja auch ganz stark dagegen erzogen worden… Prügelnde Jungs sind lächerlich. Harte Kerle, Muskelberge, eiskalte Reaktionen, Gefahren und eisernes Handeln – Kitsch. Hohl. Berechenbare Fassaden. Wie Ekelhaft…
Männlich – ehrlich – direkt. So ohne Lüge und Listen… sonst würden die Frauen ja nicht ihre Spiele spielen können. So ein Geblubla, aber auf jeden Fall ist dieses Klischeegefüge komplizierter und weniger oberflächlich als es den Anschein hat, eine Beziehung zwischen einem ach so „männlichen“ Mann und einer ach so „weiblichen“ Frau besteht aus wechselseitigen Angeboten und Abhängigkeiten, worin Stärken und Schwächen beider Kräfte balanciert sind: weibliche List und Intuition mit männlicher Ehrlichkeit, Beschränktheit und sturer Zielgerichtetheit.
Frauen geben Aufträge, Männer führen sie aus – Männer beschützen Frauen, Frauen werden Dadurch klein und abhängig. Haben aber die Marionettenspielerfäden in der Hand, besonders, wenn sie, was meistens der Fall ist, besser aussehen. Ach ja, doch ein bisschen zu flach, um wahr zu sein, das Ganze!
Beschützerphantasien? Ja die habe ich… tu sie aber immer ab. Kindisch! Albern angesichts meiner Friedlichkeit! Und ein Zeichen patriarchalen Besitzdenkens. Denn man beschützt ja das, was man hat – und das sind Dinge. Anhängsel. Handtaschenhündchen; „Du bist mein“. Wer beschützt wird, ist schwach und ausgeliefert. Pfui! Andererseits war ich in der zweiten Klasse verliebt und hab meine „Freundin“ schon immer vor allen Jungs beschützen wollen, weil die Jungs immer die Mädchen gejagt haben…

Männer heulen nicht. Stimmt. Ich hab seit Jahren nicht mehr geheult – traurig. Ich kanns einfach nicht. Fühlt sich richtig impotent an. Dabei ist es doch wieder unmännlich, etwas nicht zu können? Männer können doch alles. schließlich sind sie ja die ausführenden Organe, während Frauen im Hintergrund die Fäden ziehen. Dazu müssen Männer starr und berechenbar sein – was wieder Sinn macht. Denn Männer sind ja eiskalte, coole Felsen in der Brandung. stark, fest und hart. Und was hart ist, ist zerbrechlich. Das darf mann nicht zeigen. Deshalb ist mann so distanziert, so cool. Weil wir so kalt sind, sind wir cool – klingt einleuchtend.
Hart sein, meint, sich in seinem Handeln etwas zu beweisen. Und was beweist man sich? Sich selbst! Man festigt ja erst den Begriff von sich selbst, baut die Distanz zur Außenwelt auf, die mann braucht, um sich frei zu fühlen.
Womit wir endlich bei Heidegger wären, der mich heute überhaupt erst zu diesem Text angeregt hat – dem geht es ja um die Selbstdefinition, also auch darum, „sich etwas zu beweisen“. Das Dasein wird unabhängig von der „Abständigkeit“ – grob ausgedrückt, heißt das, man rechtfertigt sich selbst, indem man beweist, das man handeln oder empfinden kann, ohne sich dabei an andere anzupassen oder mit anderen zu konkurrieren. Ohne mitzulaufen, wie es das Kamel bei Nietzsche tut, oder zu rebellieren, wie der Löwe. Obwohl rebellieren ja schon wieder männlich ist, besonders als Mainstream gegen den Mainstream.
Mainstream gegen den Mainstream – Metal! Jedenfalls tritt die Metalkultur in „A Headbangers Journey“ so auf. Wie krank, so viele Mitglieder einer Massenkultur sagen zu hören, wie anders sie doch seien! Metal ist Männlich. Oder stilisierte und für männlich gehaltene Hässlichkeit? Jedenfalls dominieren die Typen. Homophobe Typen mit einem eifrig verschwiegenen Hang zur Homosexualität. Prahlerei über sexuelle Dominanz, Chauvinismus, Frauenverachtung – Wie bei den Hoppsern… aber aufhören, Gerrit, du sollst keine Kulturen aufgrund der Erscheinung ihrer breiten Masse diskredieren.
Und sag schon mal gar nichts gegen das Männliche Imponiergehabe, gewöhne dir das doch bitte selbst an! Mach hier mal nicht so dick einen auf keine Eier in der Hose!
Obwohl diese Abhängigkeit davon, sich in Risiko und Gefahr etwas beweisen zu müssen, doch eher krampfhaft und lächerlich wirkt – trotzige Kinder! Buben, die sich prügeln! Bei den angeblich Erwachsenen sind’s dann subtilere Indizien der Rivalität. Oder doch ganz offensichtlich penisverlängernde Autos.
Viel Wind um nichts. Wind, haha, ich mag Wind – und Windgötter sind fast immer und überall männlich. Ganz zu schweigen von den großen lauten Donnerkerlen im Himmel, Zeus und Thor und Indra, die ihre Drachen töten, wie auch der kleine Ritter seine kleine Prinzessin vor dem kleinen Drachen beschützt. Immer wieder. Der Mann handelt, mit dem Schwert in der Hand. In der männlichen Welt ist alles, auch der Mann selbst, ein Werkzeug, benannt mit Worten, ein männlicher Gott ging durch die Welt und benannte alles, während die Frau alles als Ganzes auf sich wirken lässt – Ganzheitlichkeit, haha. Ganzheitlichkeit ist weiblich, Vielheitlichkeit männlich. Männlich ist das Wort, das alle Dinge benennt und vom Ganzen trennt, trennen tut das Schwert, Jesus trägt das Schwert des Wortes in der Hand, um zu richten, denn er ist das Wort, das am Anfang war, als sich die Welt voller Dinge aus dem Ganzen löste. Was sie jedes Mal tut wenn ein Kind die Worte lernt. Die Worte und die Werte einer männlichen Gesellschaft, Werte, um zu richten wie Jesus… oh Gott. Wie kirre, Mythos, Symbolik, Esoterik und Sprachphilosophie in einem Brei… Schaum rinnt noch nicht aus meinem Mund. Ich werd mal besser wieder ernst.
Beschützen, hart sein, sich etwas beweisen, richten – alles Dinge, die man TUT. Und ein echter Mann tut es direkt, ein bisschen plump vielleicht, aber HANDELT, kämpft, gehorcht, ist ausführendes Organ. Direkt und ehrlich, selbstlos, beschützend und aufopfernd – denn „Das Opfer ist die allem Zwang enthobene, weil aus dem Abgrund der Freiheit erstehende Verschwendung des Menschenwesens in die Wahrung der Wahrheit des Seins für das Seiende. Im Opfer ereignet sich der verborgene Dank, der einzig die Huld würdigt, als welche das Sein sich dem Wesen des Menschen im Denken übereignet hat, damit dieser in dem Bezug zum Sein die Wächterschaft des Seins übernähme“ (Wieder der Heidegger). Nicht nur im Kampf mit dem Schwert zu fallen, sondern jedes selbstlose Handeln für Ideale oder die Gemeinschaft ist eine Art Selbstopfer und männlich. Bei Jaspers offenbart sich darin sogar die transzendente „Energie der Eigenverantwortlichkeit“! Herauszuragen braucht man gar nicht, um eigenverantwortlich zu handeln. Auch die kleine in die Gesellschaft integrierte Arbeit kann und soll persönlich erfüllen – doch leider tut sie das meist nicht. Tja Marx, schade drum… Muss ein Mann eben andere Wege gehen, um sich ganz und gar uneigennützig zu betätigen…
Doch halt. Natürlich, dabei geht es ja um den Respekt der anderen, also auch um die Festigung und Akzeptanz seiner selbst in dieser Welt. Viel selbstloser ist es also eigentlich gar nicht, Chefarzt zu sein, als auf seiner Harley durch die Plains zu cruisen... Was ja beides ungeheuer männlich ist. Wo zwischen Selbstlosigkeit und Selbstsucht liegt das Selbstvertrauen?
Also handelt der Mann doch nicht so ehrlich und direkt. Viel Selbstloser ist doch die Mutter, die ihr Kind beschützt. Beschützen ist also gar nicht nur männlich, denn Selbstlosigkeit, Selbstsucht und Selbstvertrauen sind nicht männlich, sondern menschlich, nur in jeweils anderen Formen. Was ist dann männlich? Ist Schmerz männlich? Ist Grausamkeit männlich? Sadomasochistische Homosexualität, wie sie die Gangsterrapper und die Heavymettler versteckt ausleben? Andere nicht weniger männliche Kulturen brauchten das ja noch nicht mal zu verstecken. Der durchschnittliche, so was von männliche Spartaner gewöhnte sich ja an Schmerzen, handelte grausam und treib es hart und wenig liebevoll, aber dennoch nicht so hetero mit seinen Kriegskameraden. Pauschalisiere ich die Geschichte? Nun, da man da ja auf solche Werte hin gedrillt wurde, kann man das so sagen, finde ich. Objektivität ist doch sowieso dumm…
Heidegger ist jedenfalls genauso männlich wie diese Spartaner! Schließlich spricht er vom „Handeln des Kriegers. Entschlossenheit in einmaligen Situationen, die nie absolut identisch wiederkehren, ist die Kraft zur Entscheidung unter dem Äußersten – Leben oder Tod. Bereitschaft zum Wagnis bei gleichzeitigem Augenmaß für das Mögliche und geistesgegenwärtige Geschicklichkeit sind Grundzüge dieses Handelns, für das sich zwar Regeln aussprechen lassen, das aber im Wesentlichen nicht unter Regeln zu bringen und nicht jeweils aus Regeln abzuleiten ist. Im Äußersten wird offenbar, was ich eigentlich bin und vermag.“
Das klingt alles so männlich. Und mündet letztendlich doch nachvollziehbar wieder in dem, „was ich eigentlich bin und vermag“. Selbstdefinition ist vielleicht nicht unbedingt männlich – aber dieses Bedürfnis, dass das Selbst im direkten Handeln „offenbart“ wird, schon eher. Frauen fühlen sich vielleicht eher im Miteinander bestätigt, im indirekten Handeln, in Zärtlichkeiten… Zärtlichkeiten sind andererseits ja auch bei Männern wichtig. Nur gibt es vielleicht verschiedene ästhetische Pole der Zärtlichkeit, die sich ergänzen? Schwule entwickeln ja auch verschiedene ästhetische und sexuelle Rollen in ihrem miteinander, ergänzen müssen sie sich auch. Und schwule Ästhetik, ist sie nicht auch immer etwas weiblicher, weicher, romantischer? Erfahrungen damit habe ich keine. Nur mal wieder die guten alten Klischees und meinen Hang zur Neutralität…
Weiblich – weich. Wie passend ist diese Assoziation, passt es doch so gut als Gegensatz zum männlich-harten Modus der Selbstdefinition als feste, zum Prinzip gewordene, erstarrte und zerbrechliche Fassade.
Wie dem auch sei. Damit, mich selbst zu definieren, bin ich ja zugegebenermaßen viel beschäftigt… Und stehe sogar dazu. Und was das Beschützen angeht benutz ich die von mir selbst geklauten Worte doch noch einmal:
Ist es auch beschützen, sich im strömenden kalten Regen wärmend an eine kleinere Person zu schmiegen?
Oh ja. Das ist schön … wäre schön.
Und so fort… Ich will ja so sein… beschützen! Ich als viel zu vergeistigter Mensch empfinde doch auch Liebe zu meinem Körper, ich sollte ihn trainieren. Denn was man im Kopf hat, hat man nicht in den Beinen, oder eher in den Armen, weil ich auf meine ausdauernden schnellen Laufbeine ja auch stolz bin. Stolz zu sein ist ein guter Anfang. Männer sind stolz.
Warum sitze ich dann am Computer und tippe anstatt… Liegestützen zu machen?
Wer gegen ein Minimum an Aluminium immun ist, der hat eine Aluminiumminimumimmunität
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Zerberus
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Beitrag von Zerberus »

habe mich viel zu lange vom typischen deutschen jungen dominieren lassen .... dieses niemals gefühle zeigen , immer hart bleiben hat mich schlussendlich fast zum nervenzusammenbruch geführt . aber menschen können anderssein nicht akzeptieren .

ich arbeite an mir ..... der denker in mir war wieder viel zu lange zeit abseits ..
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