Die Ethik der Hilfsbereitschaft [Diskussion]

Psychologische, philosophische und wissenschaftliche Betrachtungen

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Daimao_Koopa
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Die Ethik der Hilfsbereitschaft [Diskussion]

Beitrag von Daimao_Koopa »

Mir ist es vor kurzem, während eines eher alltäglichen Gesprächs, wieder einmal aufgefallen: die Definition von Hilfsbereitschaft
und deren konkreter Anwendung, ist selbst hierzulande weit weniger kompromissbereit/flexibel als ich angenommen hatte.

Prinzipiell gibt es eine vorherrschende Ausprägung dieser Ethik, die alle anderen Ansätze durch ihren Absolutheitsanspruch zu
unterdrücken scheint: die Ethik des guten Willens (wie z.B. dargestellt in Immanuel Kants "Kritik der praktischen Vernunft").
Die Kernaussage dieser Ethik, die z.T. auch im deutschen Recht verankert ist, lautet in etwa, dass ein Mensch, wann immer er
einem anderen Menschen helfen kann, dies auch tun soll/muss, weil es aus diversen Gründen "gut" ist
, bzw. nach Kant der
Vollendung der Seele zuträglich ist.

Im Gegensatz dazu steht die, in westlichen Weiten eher unpopuläre, Ethik des freien Willens, die besagt, dass man einem
Menschen nur dann helfen soll/darf, wenn dieser dazu ausdrücklich seinen Willen äußert.
(Ausnahme hierbei bildet eine
Situation, in der ein Betroffener seinen eigenen, freien Willen nicht äußern kann, weil er/sie z.B. bewusstlos ist).

Grund für die Unpopularität in westlichen Kreisen scheint das Argument, dass die Ethik des freien Willens auf Faulheit und
Tugendlosigkeit (nach Aristoteles: Untauglichkeit) basiert und daher zu vermeiden wäre. Im Gegenzug kritisieren die Anhänger
der Ethik des freien Willens an der Ethik des guten Willens, dass diese den freien Willen des "Hilfsbedürftigen" unterminiert
und vielmehr nur am Machtgewinn durch Verschuldung des Hilfsbedürftigen interessiert sei.

Wie man sehen kann, scheinen sich hier zwei augenscheinlich unvereinbare Prinzipien entgegen zu stehen. Ist dem aber wirklich so?
Unter welchen Umständen könnte es zu einer Koexistenz dieser Ethiken kommen? Was kann jeder einzelne dafür tun?


Oder handelt es sich wohlmöglich um ein Verhältnis zwischen, um es mit Nietzsche zu sagen, einer "Sklaven-" und einer "Herrenmoral"?
Falls ja, welche Ethik wäre ihrem Zwilling überlegen?


Abgesehen davon: Welche Seite vertretet ihr, persönlich gesehen, mehr? Gibt es eventuell noch eine dritte Alternative zu den
zwei Gegensätzen? Wie sind eure (Alltags-) Erfahrung, wenn es um Helfen, bzw. um Hilfsbereitschaft geht? Aus welchem Grund folgt
ihr jener kontextbezogenen Ethik, der ihr folgt?
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Ich
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Re: Die Ethik der Hilfsbereitschaft [Diskussion]

Beitrag von Ich »

Daimao_Koopa hat geschrieben:Wie man sehen kann, scheinen sich hier zwei augenscheinlich unvereinbare Prinzipien entgegen zu stehen. Ist dem aber wirklich so?
Sehr gut! ;) Meiner individuellen Meinung nach lautet die Antwort: Nein, dem ist nicht so.
Daimao_Koopa hat geschrieben:Was kann jeder einzelne dafür tun?
Ein Ansatz könnte sein, daß der Einzelne sich die Mühe gibt, mit dem jeweils anderen Individuum wirklich zu reden.
Allzu häufig ist es so, daß sich die Gabe der Empathie, welche man sich selbst zuschreibt, bei genauerer Betrachtung dann doch als viel zu oberflächlich erweist (ein Stichwort dazu: Solipsismus).
Wer vermag denn z.B. schon wirklich verstehen (!) zu können, was den Freien Willen (einschließlich den "Werkzeugen", der "Ein-stellung" etc.) eines anderen Individuums wirklich ausmacht und schlimmer noch, was nicht?
Stellen sich in diesem Kontext nicht gerade wenige Verteter des Freien Willens auch selbst ein Bein, in dem sie diesen zu einer Art Ideologie verkommen lassen bzw. (v)erklären?
Aber vielleicht ist gerade das auch nur allzu menschlich. :denk:
Daimao_Koopa hat geschrieben:Gibt es eventuell noch eine dritte Alternative zu den zwei Gegensätzen?
Alternativen gibt es immer. ;)
Man könnte z.B. versuchen, die "Gegensätze" (sofern sie wirklich existieren) aufzulösen, indem man z.B. anfängt, sich zunächst einmal an Gemeinsameiten zu orientieren. Zumeist stehen nämlich die (vorgeblichen) Unterschiede im Fokus, was das ganze meiner Ansicht nach nur erschwert. Das wäre jetzt nur ein möglicher Ansatz, der mir gerade ad hoc dazu einfällt.

Aber... wer hat denn auch wirklich den Willen dazu?
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Re: Die Ethik der Hilfsbereitschaft [Diskussion]

Beitrag von Amimatani »

Eine interessante Fragestellung! Allerdings im allgemeinen schwer zu beantworten, da es so sehr viele verschiedene Situationen des Helfens gibt.

Was "Ich" geschrieben hat, finde ich wichtig. Auf die Empathie (oder neudeutsch die Spiegelneuronen) alleine sollte man sich nicht verlassen. Hilfe ist eine Form von Kommunikation, und bei dieser Kommunikation sollten m.E. so viele Ebenen wie möglich einbezogen werden. Wann immer möglich, gehört dazu eben auch das Gespräch über das Ob und das Wie der Hilfe.

Ich bin äußerst misstrauisch geworden gegenüber jeder Hilfe, die ungefragt geleistet wird. Das hängt mit ein paar eigenen Erfahrungen zusammen, in denen ich selbst Hilfe benötigte, aber ungefragt solche "Hilfe" bekam, die mein System zusätzlich schwächte. So etwas kann hochgradig gefährlich werden: wenn man einem ohnehin geschwächten System weitere Kraft entzieht, kann das System daran zerbrechen. Und genau so etwas kann eben sehr leicht bei ungefragter und unabgesprochener Hilfe passieren, da kann noch so viel gute Absicht und guter Willen dahinter stehen. Meine eigenen Erfahrungen sind so, dass ich irgendwann dazu übergegangen bin, solche Hilfe, die mir ungefragt angetragen wird, als offene Aggression zu empfinden. :har: Aber das ist natürlich nicht unbedingt zu verallgemeinern.

Umgekehrt habe ich sehr gute Erfahrungen damit gemacht (sowohl in der Rolle der Helfenden, als auch derjenigen, die Hilfe empfängt), wenn ganz klar gefragt wird: "Brauchst du, brauchen Sie Hilfe?" Möglichst noch genauer: "Was brauchst du, brauchen Sie? Was kann ich für dich tun?" Hilfe, die daraus erwächst, stärkt beide Seiten.

Auch eine nur diffus vorgetragene Bitte um Hilfe ("bitte hilf mir!") in Situationen, die nicht eindeutig sind (also wo das Problem nicht sofort erkennbar ist) sollten mMn erstmal genauer geklärt werden ("was brauchst du denn? was kann ich für dich tun?") Denn auch da besteht sonst das Risiko, aus gutem Willen dem geschwächten System weitere Kraft zu entziehen.

Schwierig ist es dort, wo Menschen nicht in der Lage sind, ihre Bedürfnisse zu formulieren. Das gilt ja nicht nur für Bewusstlose, sondern auch für Abhängige wie Kinder und zuweilen auch Jugendliche. Es gibt sicher noch mehr Beispiele. Mein Ansatz in Situationen, in denen ich das Gefühl habe: "Jemand braucht Hilfe, aber er kann sie nicht formulieren, oder es ist nicht klar zu erkennen, was er braucht" ist grob gesagt so:

Ich gehe nicht auf das vermutete (!) Problem ein, sondern ich tue irgend etwas normal Menschliches, das den anderen stärkt. In sehr vielen alltäglichen Situationen ist das ganz einfache menschliche Zuwendung, ein freundliches Gespräch, eine gemeinsame Unternehmung, was auch immer. Ein Signal: "Hallo! Ich bin da, und ich nehme dich wahr." Halt irgendeine Form von Input, bei der man sofort Feedback spürt, ob es tatsächlich stärkt, oder eben doch besser gelassen wird. Und da kann man dann auch wunderbar die Empathie in die Kommunikation mit einbringen.

Dort, wo Menschen in eindeutiger Gefahr sind oder z.B. Kindern Gewalt angetan wird u.ä.m endet natürlich die Ethik freien Willens. Da finde ich es besser, auf jeden Fall zu helfen. Aber auch da gilt es, den guten Willen zu zügeln: wenn man sich nicht sicher ist, wie z.B. Verletzungen versorgt werden müssen, ist es besser, kompetente Leute zu besorgen, statt selber herumzudoktorn.

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Re: Die Ethik der Hilfsbereitschaft [Diskussion]

Beitrag von Thefalus »

Dietrich Dörner hat in seinem Buch "Die Logik des Mißlingens" ein paar eindrucksvolle Beispiele für "gut gemeinte Hilfe" gegeben und Gründe, warum solche Aktionen (zum Beispiel Entwicklungshilfe) oft das Ausmaß von übelster Schadensmagie annehmen. Das Buch ist eine Empfehlung zu dem Thema Hilfsbereitschaft und deren Hilflosigkeit, vor allem in komplexen Situationen.

Und natürlich kann es auch nicht angehen, daß die Amis beliebigen Völkern ihrer Wahl sozusagen die Scheiße aus dem Leib befreien. Andererseits gibt es Gesetze in Deutschland die die Hilfeleistung verpflichtend vorschreiben. Dabei ist insbesondere interessant, wie eine Notsituation gesetzlich definiert wird. Und daß das vermeintliche Opfer wirksam auf Hilfe verzichten kann. Dabei ist aber Folgendes zu beachten, Zitat Wikipedia: "Der Verzicht ist aber nicht wirksam, wenn er in einer psychischen Ausnahmesituation erklärt wurde. Wenn beispielsweise ein dauerhaft Erkrankter bei einer akuten Verschlechterung seiner Situation darum bittet, keinen Arzt zu rufen, kann dem daher nur Folge geleistet werden, wenn sich diese Bitte in einer Linie mit früheren Aussagen des Kranken befindet. Ein Eingreifen des Helfers entgegen einem wirksamen Verzicht kann theoretisch zu einer Bestrafung wegen Nötigung oder Freiheitsberaubung führen; die irrtümliche Annahme der Voraussetzungen einer Hilfeleistungspflicht führt aber zu Straffreiheit."

Man kommt also nie darum herum den Einzelfall zu betrachten und entsprechend der Gegebenheiten zu reagieren. Einer Motorradfahrerin, die vor Jahren gegen unser Haus geflogen ist und mir die Auskunft gab, sie könne ihre Beine weder bewegen noch spüren, habe ich den Helm aufgelassen, weil ich eine Wirbelsäulenverletzung vermutete. Die Notärztin hat ihr den Helm aber resolut und ohne weitere Nachfrage abgenommen. Ob sie damit eine Querschnittslähmung verursacht hat, kann man ihr sowieso nicht nachweisen.

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Re: Die Ethik der Hilfsbereitschaft [Diskussion]

Beitrag von nola-blair »

Der Text ist sehr informativ,wie aus einem Buch abgeschrieben. Es sagt mir trotzdem nichts über deine Hilfsbereitschaft aus. Wie sieht deine Hilfsbereitschaft im Alltag aus,nicht nur in der Theoretisch sondern auch in der Praxis. Meine Hilfsbereitschaft im Alltag sieht so aus, wenn ich leuten (ältere,schwangere etc.) begegne wo ich sehe das sie hilfe brauchen,frage ich sie ob ich helfen kann. Sagen sie ja helfe ich. Und die Hilfsbereitschaft bei einem Opfer, da brauchen wir nicht zu diskutieren,denn das muss jeder mit seinem Gewissen vereinbaren.
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Re: Die Ethik der Hilfsbereitschaft [Diskussion]

Beitrag von gabor »

Ich hab die Erfahrung gemacht,dass Leute,die Hilfe brauchen nur sehr selten darum bitten........und das die,die drum bitten,keine Hilfe brauchen,weil sie sich selbst helfen müssten,bzw.zumindest den ersten Schritt erstmal aus eigener Kraft gehen müssten,um DANN Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Im täglichen Leben sieht es dann bei mir so aus,dass ich prinzipiell helfe,wo ich kann(selbst Tramper,die nicht den Daumen draussen haben,frage ich,ob sie mitfahren wollen).
Sollte ich jedoch bemerken,dass jemand solche Situationen berechnend ausnutzt(hatte ich in meinem Freundeskreis auch schon).....ist recht plötzlich wirklich endgültig Sense.
....also,so konsequent ich helfe,so konsequent verwandle ich mich auch zu Stein.....ist so`ne Troll-Sache! :lol:
Immer bereit!
Woher soll ich wissen, ob die Vergangenheit keine Fiktion ist, die nur erfunden wurde, um den Zwiespalt zwischen meinen augenblicklichen Sinneswahrnehmungen und meiner Geistesverfassung zu erklären?
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Re: Die Ethik der Hilfsbereitschaft [Diskussion]

Beitrag von Thefalus »

nola-blair hat geschrieben:Wie sieht deine Hilfsbereitschaft im Alltag aus,nicht nur in der Theoretisch sondern auch in der Praxis.
Und das fragst du den Typen mit den Gülle-Pralltellern an den Ohren, der sich heldenmutig vor den Feind wirft? :D

Nein, wir wären als Menschen gesamtevolutionär nicht so erfolgreich gewesen, wenn wir uns nicht gegenseitig geholfen hätten. Dazu stehe ich auch persönlich und privat. Ich bin auch ein eher empathischer Typ, ich kann das Leid anderer Menschen sehr gut fühlen und das macht es mir sehr schwer wegzusehen. Für ein Helfersyndrom reicht es indes nicht, aber die sind, ähnlich wie Workaholics, sowieso tendenziell kontraproduktiv unterwegs. Klartext: Ich helfe wo ich kann und das macht mir auch große Freude. Idioten und Betrüger bekommen von mir aber nur die eiskalte Schulter zu sehen.

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Re: Die Ethik der Hilfsbereitschaft [Diskussion]

Beitrag von nola-blair »

Nein an dich war die Frage nicht gestellt,sondern an *Daimao*. Lg nola
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Re: Die Ethik der Hilfsbereitschaft [Diskussion]

Beitrag von Thefalus »

nola-blair hat geschrieben:Nein an dich war die Frage nicht gestellt,sondern an *Daimao*. Lg nola
*grmblfz* Und ich dachte noch, mein Text liest sich doch nicht wie ein Buch... :???:

:lol:

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Re: Die Ethik der Hilfsbereitschaft [Diskussion]

Beitrag von Daimao_Koopa »

Ich hat geschrieben:Nein, dem ist nicht so. [...] Ein Ansatz könnte sein, daß der Einzelne sich die Mühe gibt, mit dem jeweils anderen Individuum wirklich zu reden.
Ah, du meinst also, dass es den Parteien weniger um das Helfen, bzw. die Hilfe an sich geht, sondern vielmehr nur um sich
und die eigene "moralische" (also, gesellschaftlich erwünschte) Haltung zum Thema Hilfe? Falls ja, wäre das ein guter Ansatz,
um die Barrieren zwischen beiden Beteiligten zu beseitigen.
Ich hat geschrieben: Stellen sich in diesem Kontext nicht gerade wenige Verteter des Freien Willens auch selbst ein Bein, in dem sie diesen zu einer Art Ideologie verkommen lassen bzw. (v)erklären?
Also ich glaube eher, dass die Vertreter des freien Willens durch diese Ideologiesierung versuchen einfach nur darauf hin zu weisen, dass es
besser ist erst zu Handeln, wenn eine Situation einer Handlung bedarf. Also eine Art reaktionäre Haltung vertreten, die vor allem Energie
und Nerven sparen soll. Energie fließt, sozusagen, nur dorthin, wo sie gebraucht wird und nicht, wohin sie einem Idealbild nach sein soll.

Wirkliche Freiheit lässt sich sowieso - in weltlichen Belangen - nie erreichen.
Ich hat geschrieben:Aber... wer hat denn auch wirklich den Willen dazu?
Das sehe ich auch als das wesentliche Problem an. Es ist einfacher sich auf die gewohnte Haltung zu berufen und auch andere dorthin
zu rufen, als selbst einen Schritt auf den anderen zu zu gehen... Dieses Problem ließe sich, mMn, aber sicher dadurch lösen, indem man
im bezug auf das Thema "Helfen" mehr von sich selbst weg kommt und auf die eigentliche Sache konzentriert.

Erinnert mich gerade wieder an Nietzsche und seine Haltung zur Nächstenliebe. Die Menschen scheinen sich bei ihrem Streben
nach Anerkennung zu sehr in sich selbst zu verlieren. Das ist - wieder einmal - typisch menschlich. Was dagegen hilft, wäre
meiner Ansicht nach sich die Frage zu stellen "Warum helfe ich?"

Ich glaube auch, dass die wenigsten Menschen heute wirklich helfen, weil sie es wollen, sondern weil sie es müssen oder man es
von ihnen erwartet. Diese Entwicklung passt mMn nach auch gut zum aktuellen Trend, zu dem sich die Gesellschaft verändert;
die Individualisierung, sprich die bewusste Vereinzelung des Menschen, der innerhalb der Gesellschaft voll und ganz für sich und
sein Handeln verantwortlich ist, aber - paradoxerweise - keinen Einfluss auf alle Prozesse seines gesellschaftlichen Handelns hat.

Der einzelne Mensch wird dadurch zu einer Art "Zahnrad", das einfach nur handelt, aber gar nicht weiß, warum es so handelt wie es
handelt. Klar, dass dabei das wirkliche Interesse für die Schicksale der anderen Zahnräder auf der Strecke bleibt. Wie gesagt, an
dieser Stelle angekommen, hilft nur noch das Erwachen - also sich die Frage nach dem Warum wieder ins Gedächtnis zu rufen.

Die Frage ist nur - ähnlich wie in "Matrix" - will man sich diese Frage auch stellen? Bzw. ist man dazu einfach nur zu bequem?

Amimatani hat geschrieben:Hilfe ist eine Form von Kommunikation, und bei dieser Kommunikation sollten m.E. so viele Ebenen wie möglich einbezogen werden. Wann immer möglich, gehört dazu eben auch das Gespräch über das Ob und das Wie der Hilfe.
Guter Gedanke, aber mir stellt sich da die Frage, ob man über diese Form der Kommunikation (also zu fragen, ob jemand Hilfe braucht)
nicht auch wieder Abhängigkeiten erschafft, indem man Leute, die scheinbar Hilfe bedürfen, in eine Opferrolle zwängt.

Mir fällt z.B. in der S-Bahn immer wieder auf, wie ältere Menschen immer und immer wieder gefragt werden, ob sie sich setzen möchten,
obwohl sie stehen (und dies offenbar auch gut können) und niemanden darum gebeten haben einen Platz frei zu machen. Mir persönlich
würde es nie einfallen so jemanden zu fragen, denn schließlich weiß ich nicht, ob sich dieser alte Mensch durch meine möglicherweise
ungewollte Frage vielleicht bedrängt, diskrimiert, oder in seinem Stolz verletzt fühlt!

Amimatani hat geschrieben: Ich gehe nicht auf das vermutete (!) Problem ein, sondern ich tue irgend etwas normal Menschliches, das den anderen stärkt. In sehr vielen alltäglichen Situationen ist das ganz einfache menschliche Zuwendung, ein freundliches Gespräch, eine gemeinsame Unternehmung, was auch immer. Ein Signal: "Hallo! Ich bin da, und ich nehme dich wahr." Halt irgendeine Form von Input, bei der man sofort Feedback spürt, ob es tatsächlich stärkt, oder eben doch besser gelassen wird. Und da kann man dann auch wunderbar die Empathie in die Kommunikation mit einbringen.
Genauer gesagt, versuchst du also in Situation, in denen Unklarheit bezüglich der Hilfsbedürftigkeit besteht, dich mittels Empathie
an das eigentliche (wenn vorhandene) Problem heran zu tasten? Finde ich gut!
Amimatani hat geschrieben:Ich bin äußerst misstrauisch geworden gegenüber jeder Hilfe, die ungefragt geleistet wird.
Sehe ich, aus etwas anderen Gründen, genau so!


@Thefalus:
Danke für den Buchtipp!
Thefalus hat geschrieben: Man kommt also nie darum herum den Einzelfall zu betrachten und entsprechend der Gegebenheiten zu reagieren.
Mag zwar sein, aber macht diese Tatsache die Problematik des "Wann helfe ich?" nicht noch komplizierter, als sie eigentlich schon ist?
Die allgemeine Rechtssprechung ist in solchen Dingen nämlich ziemlich gut... Auch weil sich bezüglich der Rechtslage die Frage stellt,
ob diese ganzen Regelungen besser gemeint sind, als sie es wirklich sind.
nola-blair hat geschrieben:Es sagt mir trotzdem nichts über deine Hilfsbereitschaft aus.
Das hatte ich (zu diesem Zeitpunkt) auch noch nicht beabsichtigt. ;) Wer gießt denn schon gerne Öl ins Feuer, wenn noch gar kein
Feuer brennt? Was meine theoretische Position angeht, kann man diese mMn aus meinem Eingangspost herauslesen. Näheres dazu
schreibe ich aber gegebenfalls später.
nola-blair hat geschrieben:Meine Hilfsbereitschaft im Alltag sieht so aus, wenn ich leuten (ältere,schwangere etc.) begegne wo ich sehe das sie hilfe brauchen,frage ich sie ob ich helfen kann. Sagen sie ja helfe ich.
Aber auch hier weiß man nicht, ob diese Personen auch wirklich Hilfe bedürfen! Nur weil ein alter Mann am Stock geht, bedeutet das noch
lange nicht, dass er aus eigener Kraft keine Türen mehr öffnen kann.
gabor hat geschrieben:Ich hab die Erfahrung gemacht,dass Leute,die Hilfe brauchen nur sehr selten darum bitten........und das die,die drum bitten,keine Hilfe brauchen,weil sie sich selbst helfen müssten,bzw.zumindest den ersten Schritt erstmal aus eigener Kraft gehen müssten,um DANN Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Das ist sehr interessant! Wovon, glaubst du, hängt die Fähigkeit Hilfe an zu nehmen ab? Stolz, Alter, Erziehung, oder vielleicht doch allem
voran die eigene Ethik?
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Re: Die Ethik der Hilfsbereitschaft [Diskussion]

Beitrag von Ich »

Daimao_Koopa hat geschrieben:
Ich hat geschrieben:Nein, dem ist nicht so. [...] Ein Ansatz könnte sein, daß der Einzelne sich die Mühe gibt, mit dem jeweils anderen Individuum wirklich zu reden.
Ah, du meinst also, dass es den Parteien weniger um das Helfen, bzw. die Hilfe an sich geht, sondern vielmehr nur um sich
und die eigene "moralische" (also, gesellschaftlich erwünschte) Haltung zum Thema Hilfe? Falls ja, wäre das ein guter Ansatz,
um die Barrieren zwischen beiden Beteiligten zu beseitigen.
Nein, davon sprach Ich nicht. Bei näherer Betrachtung weiß Ich offengestanden auch nicht, wie bzw. wodurch sich "unsere Gesellschaft" heutzutage überhaupt definiert.
Ich meinte das ganz konkret im zwischenmenschlichen Bereich - und zwar direkt und offen, ohne ewiges Drumherumgerede, unklare Anspielungen oder gar Heuchelei. Man könnte letzteres z.B. (die Heuchelei ausgenommen) dabei höchstens sachte (!) für den Fall einsetzen, wenn der jeweilige Kommunikationspartner erkennbar Probleme hat, sich zu öffnen (wobei dann spätestens natürlich wieder die Empathie mit ins Spiel kommt).
Daimao_Koopa hat geschrieben:... Die Frage ist nur - ähnlich wie in "Matrix" - will man sich diese Frage auch stellen? Bzw. ist man dazu einfach nur zu bequem?
Oder ist man vor lauter "gesellschaftlicher" (s.o. ;) ) Individualisierung vielleicht auch zu sehr mit sich selbst beschäftigt, so daß man schon fast automatisch über-trieben egoistisch oder gar egozentrisch geworden ist und diese kontextbezogene Verkümmerung bzw. Verrohung bei sich selbst gar nicht wahrnimmt?
Daimao_Koopa hat geschrieben:Mir fällt z.B. in der S-Bahn immer wieder auf, wie ältere Menschen immer und immer wieder gefragt werden, ob sie sich setzen möchten, obwohl sie stehen (und dies offenbar auch gut können) und niemanden darum gebeten haben einen Platz frei zu machen. Mir persönlich würde es nie einfallen so jemanden zu fragen, denn schließlich weiß ich nicht, ob sich dieser alte Mensch durch meine möglicherweise ungewollte Frage vielleicht bedrängt, diskrimiert, oder in seinem Stolz verletzt fühlt!
Warum so kompliziert? Kurz gesagt: Nicht fragen, einfach Platz machen (evtl. auch so tun, als wenn das mit der Person gar nichts zu tun hat - z.B. bei alten Menschen, die sich mitunter vielleicht sogar zieren oder schämen und wirklich doch nicht mehr so gut stehen können), wenn Ich "diesen Verdacht" dabei hege. Wo ist das Problem?
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Re: Die Ethik der Hilfsbereitschaft [Diskussion]

Beitrag von Thefalus »

Daimao_Koopa hat geschrieben:Mag zwar sein, aber macht diese Tatsache die Problematik des "Wann helfe ich?" nicht noch komplizierter, als sie eigentlich schon ist?
Mag ja sein, aber es lohnt den Aufwand wirklich. Wenn ich den individuellen Einzelfall nicht berücksichtige, dann ist die Gefahr der "Verschlimmbesserung" wirklich sehr hoch. Da sind Fragen auch wirklich unverzichtbar, man darf sich m.E. nicht nur auf den Augenschein verlassen.

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Re: Die Ethik der Hilfsbereitschaft [Diskussion]

Beitrag von Daimao_Koopa »

Ich hat geschrieben:Ich meinte das ganz konkret im zwischenmenschlichen Bereich - und zwar direkt und offen, ohne ewiges Drumherumgerede, unklare Anspielungen oder gar Heuchelei.
Verstehe. Allerdings bin ich mir nicht wirklich sicher, ob eine derartige Form der Kommunikation wirklich besser ist, als die mit den
ganzen Anspielungen und Lügen. Immerhin dienen solche Heucheleien u.a. dem Erhalt des gegenseitigen Respekts vor der Person des
Gegenübers. Die Wahrheit ist nunmal nicht immer angenehm und unangenehme Erfahrungen im bezug auf Kommunikation schädigen das
zwischenmenschliche Verhältnis. Wohlmöglich aber auch nur deshalb, weil viele von uns mit diesem Lügengebilde aufwachsen. :denk:

Man könnte also sagen, dass wer auch immer es als Persönlichkeit übersteht auf alle Alltags- und Gegebenheitslügen zu verzichten,
als neuer Mensch zu einem besseren Konversationspartner werden wird. Dann bliebe da nur noch die Frage, wie viele der
Durchschnittsmenschen einen solchen charakterlichen Wandel überstehen würden. Sicherlich nicht viele, denn was bleibt schon übrig,
wenn die Fassade fällt...?

Insgesamt aber doch ein guter Lösungsweg!
Ich hat geschrieben:so daß man schon fast automatisch über-trieben egoistisch oder gar egozentrisch geworden ist und diese kontextbezogene Verkümmerung bzw. Verrohung bei sich selbst gar nicht wahrnimmt?
Das habe ich ja bereits erwähnt. Stichwort: Erwachen. Ich bin mit meiner Frage "will man sich diese Frage (nach dem "Warum helfe ich?") auch stellen?"
nur schon einen Schritt weiter gegangen. So wie bei Cypher, der mit der Realität nicht klar kommt und lieber wieder in die Illusion der Matrix zurück
flieht. Scheitert es in Endeffekt also an der Bequemlichkeit der Menschen, sich mit ihrem Verhalten/ihren Motivationen auseinander zu setzen?
Ich hat geschrieben:Warum so kompliziert? Kurz gesagt: Nicht fragen, einfach Platz machen [...] Wo ist das Problem?
Wie schon gesagt, sehe ich das Problem darin, durch mein ungefragtes Aufstehen diesen alten Menschen eventuell in eine Rolle
als hilfsbedürftiger Mensch zu drängen, obwohl er es wohlmöglich gar nicht ist.

Die Knackpunkt liegt für mich eben darin, dass schon allein durch die bloße Frage eine Fremdbestimmung ausgelöst wird.
Braucht der Mensch Hilfe, mag zwar alles in Ordnung sein, aber braucht er sie nicht, kränkt ihn das eventuell in seinem
Selbstverständnis als selbstbestimmter Mensch. Dieses Beispiel mag zwar nur ein Beispiel sein, ist aber mMn repräsentativ
für viele andere Probleme dieser Art.
Thefalus hat geschrieben:Mag ja sein, aber es lohnt den Aufwand wirklich. Wenn ich den individuellen Einzelfall nicht berücksichtige, dann ist die Gefahr der "Verschlimmbesserung" wirklich sehr hoch. Da sind Fragen auch wirklich unverzichtbar, man darf sich m.E. nicht nur auf den Augenschein verlassen.
Das sehe ich - im Fall, dass keine Hilfe benötigt wird - aber auch... Wenn jemand einfach nur Hilfe erwartet, kann man ihn nicht von
jenem unterscheiden, der keine Hilfe braucht/möchte. Die Gefahr der ungewollten Viktimisierung ist eben auch vorhanden...
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Re: Die Ethik der Hilfsbereitschaft [Diskussion]

Beitrag von gabor »

Die Fähigkeit Hilfe anzunehmen...hhmmm...was ist zu tun:
Naja,zunächst die Einsicht,dass man Hilfe braucht.Was natürlich bös am Stolz kratzen kann,da man sich ja eingestehen muss,selbst nicht handlungsfähig zu sein.(aus welchen Gründen auch immer)
Immer bereit!
Woher soll ich wissen, ob die Vergangenheit keine Fiktion ist, die nur erfunden wurde, um den Zwiespalt zwischen meinen augenblicklichen Sinneswahrnehmungen und meiner Geistesverfassung zu erklären?
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Re: Die Ethik der Hilfsbereitschaft [Diskussion]

Beitrag von Daimao_Koopa »

@Gabor:
Danke dir! Akzeptanz von (Handlungs-) Unfähigkeit... Das macht viel Sinn!

Prinzipiell durchläuft ein Hilfsbedürftiger also den Pfad der Verzweiflung. Gut!
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Re: Die Ethik der Hilfsbereitschaft [Diskussion]

Beitrag von gabor »

Naja...ob das nun"gut" ist....
Um das jetzt mal klarzustellen.....ich schreib hier nicht von"Platz anbieten",oder "Tür aufhalten,oder"Tramper mitnehmen".Das sind Dinge,die ich für selbstverständlich erachte.....
Es geht mir vielmehr um Situationen,die einen wirklich Einfluss auf das weitere(Über)Leben haben.
Diese vezweifelte Einsicht bei Problemen...ist oftmals schon über Jahre gegeben.Man weiss,man hat ein Problem,und bräuchte eigentlich Hilfe....ABER was steht da nicht alles im Weg rum....Scham,Angst vor`nem "neuen"Leben,Furcht vor Schmerzen(OP),Angst nicht zu genügen......
Mir fällt gerade auf,dass es meist Ängste(oft gesellschaftlich generiert)sind,die da hemmen.....
Aktuelles Beispiel:Ein Arbeitskollege von mir ist am Samstag mit `nem Kreislaufkasper zusammengebrochen,und hat sich dabei ziemlich übel das Gesicht demoliert.Heute ist er dann NACH DIENST zum Arzt......
Immer bereit!
Woher soll ich wissen, ob die Vergangenheit keine Fiktion ist, die nur erfunden wurde, um den Zwiespalt zwischen meinen augenblicklichen Sinneswahrnehmungen und meiner Geistesverfassung zu erklären?
Amimatani
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Re: Die Ethik der Hilfsbereitschaft [Diskussion]

Beitrag von Amimatani »

Daimao_Koopa hat geschrieben:
Amimatani hat geschrieben:Hilfe ist eine Form von Kommunikation, und bei dieser Kommunikation sollten m.E. so viele Ebenen wie möglich einbezogen werden. Wann immer möglich, gehört dazu eben auch das Gespräch über das Ob und das Wie der Hilfe.
Guter Gedanke, aber mir stellt sich da die Frage, ob man über diese Form der Kommunikation (also zu fragen, ob jemand Hilfe braucht)
nicht auch wieder Abhängigkeiten erschafft, indem man Leute, die scheinbar Hilfe bedürfen, in eine Opferrolle zwängt.
Der Satz von mir: "Hilfe ist eine Form von Kommunikation" bezog sich vor allem auf die allgemeine Diskussion. Du hattest die Frage gestellt, ob die beiden Grundprinzipien ("guter Wille", "freier Wille") beim Helfen unvereinbar sind. "Ich" hatte gesagt, dass dem nicht so sei. Das denke ich auch. Und mein Vorschlag ist einfach, sich von dieser einseitigen Vorstellung zu lösen, bei der nur die individuelle Handlung der einen oder der anderen Seite berücksichtigt wird. Nur dann nämlich scheinen die verschiedenen Willensformen sich gegenseitig ein Beinchen zu stellen.

Betrachtet man aber von vorneherein das System von (möglichem) Hilfeempfänger und (möglichem) Helfer als EIN System, so findet darin auch nur EINE (allgemeine) Aktion statt, die man als Kommunikation, Austausch bezeichnen kann. Kommunikation heißt ja nicht nur "miteinander sprechen". Auch das wortlose Aufstehen in der Bahn kann man als Kommunikation betrachten. JEDE Interaktion zwischen beiden Seiten, auch die ohne Worte und ohne Fragen, ist Kommunikation im allgemeinen Sinne.

Der Vorteil dieser Betrachtung: Über Kommunikation ist schon viel Schlaues geschrieben und gesagt worden, wann sie funktioniert, wie sie am besten funktioniert. Und ich glaube, dass es sich lohnen würde, die allgemeinen Kommunikationsprinzipien mal auf den konkreten Fall des Helfens herunterzubrechen, zu übersetzen. Damit ließe sich evtl. der scheinbare Widerspruch zwischen gutem und freiem Willen auflösen.

Letzten Endes bleibt es dabei, dass immer die konkrete Situation beurteilt werden muss. Und dass man sich auch vor Stereotypen hüten sollte, sondern wirklich genau hinschauen. In der Bielefelder Straßenbahn sah ich vor einigen Jahren mal eine Werbeaktion der Verkehrbetriebe, wo durch viele verschiedene Fotos gezeigt wurde, welche Menschen alles dringender als man selbst einen Sitzplatz benötigen könnten. Und auf den Bildern stand eben auch eine alte Omi für ein Schulkind mit scherem Ranzen auf u.ä.m.. Will sagen "alte Leute" ist da das Stereotyp: hält man sich daran fest, so übersieht man eben leicht z.B. die erschöpften Schulkinder. Worauf es bei Hilfesituationen ankommt ist, Stärke und Schwäche so gut wie möglich einzuschätzen und Menschen, die der eigenen Einschätzung nach so geschwächt sind, dass sie möglicherweise nicht oder schlecht alleine zurecht kommen eben auch nicht alleine zu lassen.

Sicherheit gibt es dabei nicht. Und mit Irrtümern muss man leben. Aber man ist beim Helfen frei darin sich zu überlegen, mit welcher Art von Irrtum man selber besser leben kann: 1. mit dem Irrtum, jemanden der stark ist als zu schwach einzuschätzen und ihn dadurch evtl. zu kränken? oder 2. mit dem Irrtum, jemanden der schwach ist als zu stark einzuschätzen? Ich persönlich kann besser mit Irrtümern vom Typ 1 leben. ;) Jedenfalls bei punktuellen Begegnungen in der Öffentlichkeit.

Denn die ganze "Hilfekommunikation" bekommt nochmal eine erweiterte Bedeutung in festen Beziehungssystemen: Familie, Freundeskreis, Arbeitsplatz usw..
Also in Systemen, in denen es eigentlich grundsätzlich ein ausgewogenes Verhältnis von Helfen und "Geholfenwerden" geben sollte. Sehr oft ist das aber nicht so. Vielmehr schleichen sich da gerne "feste Hilfestrukturen" ein: auf der einen Seite gibt es die Helfenden, auf der anderen Seite gibt es die Hilfeempfänger. Und solche Strukturen weiten sich zu durchaus schädlichen psychischen Macht- und Abhängigkeitsstrukturen aus. Sie sind äußerlich unsichtbar, aber sehr wirksam. Ihre Unsichtbarkeit macht es darüberhinaus besonders schwierig, den Zusammenhang zur praktizierten "Hilfestruktur" zu erkennen.

Insbesondere in Familien oder unter Freunden sieht das nach herzallerliebster Gutwilligkeit aus, doch über kurz oder lang führen solche ständigen Ungleichgewichte zu einem Zerbrechen: entweder zum Zerbrechen des Systems (wenn einer aussteigt aus dem eingeschliffenen Muster) oder - schlimmer - zum Zerbrechen des schwächsten ( bzw. durch ständigen Hilfeempfang mehr und mehr geschwächten) Menschen des Systems.

Punktuelle öffentliche Begegnungen sind im Vergleich dazu eher einfach. Übrigens habe ich auch selbst schon die Erfahrung gemacht, dass ich mich in einem Park in einem abgelegenen Winkel zum Meditieren auf den Boden legte. Ich war ziemlich weit weg, sah von außen vermutlich aus wie bewusstlos o.ä.. Und tatsächlich kamen dann doch irgendwann Spaziergänger vorbei, riefen mich an und fragten, ob alles okay wäre. Klar war die Unterbrechung der Meditation einerseits ärgerlich, in erster Linie war ich aber froh, an einem Ort zu sein, wo es anderen nicht egal ist, wenn jemand in irritierender Weise am Boden liegt.

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Re: Die Ethik der Hilfsbereitschaft [Diskussion]

Beitrag von Ich »

Daimao_Koopa hat geschrieben:Wohlmöglich aber auch nur deshalb, weil viele von uns mit diesem Lügengebilde aufwachsen.
Mit Sicherheit. Und daß dies nichts mit der "Überlebensstrategie der Täuschung" (die sich bei uns zumeist durch die vielen kleinen und oft unbewußten (!) Alltagslügen äußert) zu tun hat, bedarf wohl auch keiner näheren Erläuterung, denke Ich.
Daimao_Koopa hat geschrieben:Scheitert es in Endeffekt also an der Bequemlichkeit der Menschen, sich mit ihrem Verhalten/ihren Motivationen auseinander zu setzen?
Wenn sie sich dessen überhaupt bewußt sind... ist es ihnen vielleicht auch egal, solange nur "Brot & Spiele" stimmen... :denk:
Daimao_Koopa hat geschrieben:
Ich hat geschrieben:Warum so kompliziert? Kurz gesagt: Nicht fragen, einfach Platz machen [...] Wo ist das Problem?
Wie schon gesagt, sehe ich das Problem darin, durch mein ungefragtes Aufstehen diesen alten Menschen eventuell in eine Rolle
als hilfsbedürftiger Mensch zu drängen, obwohl er es wohlmöglich gar nicht ist.

Die Knackpunkt liegt für mich eben darin, dass schon allein durch die bloße Frage eine Fremdbestimmung ausgelöst wird.
Braucht der Mensch Hilfe, mag zwar alles in Ordnung sein, aber braucht er sie nicht, kränkt ihn das eventuell in seinem
Selbstverständnis als selbstbestimmter Mensch.
Was sich in diesem Fall wohl schon alles mit dem Teilinhalt meines von Dir zitierten Satzes, welchen Du hier mit "[...]" markiert hast, erledigt hätte.
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Re: Die Ethik der Hilfsbereitschaft [Diskussion]

Beitrag von Daimao_Koopa »

Amimatani hat geschrieben:Der Satz von mir: "Hilfe ist eine Form von Kommunikation" bezog sich vor allem auf die allgemeine Diskussion. Du hattest die Frage gestellt, ob die beiden Grundprinzipien ("guter Wille", "freier Wille") beim Helfen unvereinbar sind. "Ich" hatte gesagt, dass dem nicht so sei. Das denke ich auch. Und mein Vorschlag ist einfach, sich von dieser einseitigen Vorstellung zu lösen, bei der nur die individuelle Handlung der einen oder der anderen Seite berücksichtigt wird. Nur dann nämlich scheinen die verschiedenen Willensformen sich gegenseitig ein Beinchen zu stellen.
Ah, jetzt habe ich es verstanden. Stimmt, eine solche Auflösung der genannten ethischen Prinzipien wäre mit Sicherheit besser
für die Kommunikation, aber dazu müssten dann auch beide Seiten bereit sein ...also, damit sich auch grundlegend etwas verändert.
Amimatani hat geschrieben:Und dass man sich auch vor Stereotypen hüten sollte, sondern wirklich genau hinschauen.
Ich weiß. Die "alten Leute" waren auch nur ein Beispiel für eine problematische Situation.
Amimatani hat geschrieben:Sicherheit gibt es dabei nicht. Und mit Irrtümern muss man leben.
Ich "fürchte" du hast recht! Und mein eigentliches Bedenken im bezug auf freiwillige Hilfeleistungen hast du im folgenden auch gut getroffen:
Amimatani hat geschrieben:Also in Systemen, in denen es eigentlich grundsätzlich ein ausgewogenes Verhältnis von Helfen und "Geholfenwerden" geben sollte. Sehr oft ist das aber nicht so. Vielmehr schleichen sich da gerne "feste Hilfestrukturen" ein: auf der einen Seite gibt es die Helfenden, auf der anderen Seite gibt es die Hilfeempfänger. Und solche Strukturen weiten sich zu durchaus schädlichen psychischen Macht- und Abhängigkeitsstrukturen aus.
Sprich die "Gefahr" öfter am gebenden Ende der Kommunikation zu sein, als am empfangenden Ende. Manchmal fragt man sich sicher, wo denn
der Ausgleich für solche Opfer bleibt. Oftmals bleibt dieser nämlich aus, weil es "stereotype Hilfeempfänger" als normal ansehen, dass man ihnen
hilft. Nicht wenige Meschen begreifen das Opfer, das der Helfende in solchen Situationen bringt - auch wenn es nur bloße Selbstüberwindung ist.

Mir persönlich reich in solchen "punktuellen Begegnungen" schon ein einfaches "Danke" aus. Unglücklicherweise bleibt schon dieses einfache
"Danke" oftmals aus - zumindest meiner Erfahrung nach. Die wenigen Fälle, in denen man auf ehrliche (wenn auch nur minimale) Dankbarkeit
stößt, machen mMn das allgemeine Risiko des Ignoriertwerdens einfach nicht wett. Das ist aber auch nur meine individuelle Ansicht! ;)

Wenn sich ganz einfach mehr Leute zu etwas mehr Dankbarkeit überwinden könnten, fiele den vielen Helfern das Helfen sicher leichter...
Quid pro quo. Ansonsten kommt es (was mMn schon um Haaresbreite erreicht ist) zum Zerbrechen, wie du sagstest.
Ich hat geschrieben: Was sich in diesem Fall wohl schon alles mit dem Teilinhalt meines von Dir zitierten Satzes, welchen Du hier mit "[...]" markiert hast, erledigt hätte.
Ich kann es bei nächster Gelegenheit ja mal versuchen. Klingt aber irgendwie... unbefriedigend. Obwohl eine wortlose Aktion den wortlosen
Erwartungsträger wohlmöglich zum Denken anregen kann... Einen Versuch ist es dennoch wert!
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Re: Die Ethik der Hilfsbereitschaft [Diskussion]

Beitrag von Ich »

Daimao_Koopa hat geschrieben:Ich kann es bei nächster Gelegenheit ja mal versuchen. Klingt aber irgendwie... unbefriedigend. Obwohl eine wortlose Aktion den wortlosen Erwartungsträger wohlmöglich zum Denken anregen kann... Einen Versuch ist es dennoch wert!
Hm, interessant. Siehst Du das wirklich auch schon bei diesem speziellen (o.g.) Beispiel aus diesem Blickwinkel?
Ich selbst sehe solche Dinge - wie gabor es schon formulierte - eher als selbstverständlich an (deshalb auch meine obige Frage nach dem Problem dabei).
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Re: Die Ethik der Hilfsbereitschaft [Diskussion]

Beitrag von gabor »

Eben!
Leider muss ich Dir mal wieder recht geben..... ;)
Hilfe zur Selbstdarstellung ist zum Kotzen!
Immer bereit!
Woher soll ich wissen, ob die Vergangenheit keine Fiktion ist, die nur erfunden wurde, um den Zwiespalt zwischen meinen augenblicklichen Sinneswahrnehmungen und meiner Geistesverfassung zu erklären?
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Re: Die Ethik der Hilfsbereitschaft [Diskussion]

Beitrag von Amimatani »

Daimao_Koopa hat geschrieben:
Amimatani hat geschrieben:Also in Systemen, in denen es eigentlich grundsätzlich ein ausgewogenes Verhältnis von Helfen und "Geholfenwerden" geben sollte. Sehr oft ist das aber nicht so. Vielmehr schleichen sich da gerne "feste Hilfestrukturen" ein: auf der einen Seite gibt es die Helfenden, auf der anderen Seite gibt es die Hilfeempfänger. Und solche Strukturen weiten sich zu durchaus schädlichen psychischen Macht- und Abhängigkeitsstrukturen aus.
Sprich die "Gefahr" öfter am gebenden Ende der Kommunikation zu sein, als am empfangenden Ende. Manchmal fragt man sich sicher, wo denn
der Ausgleich für solche Opfer bleibt.
Lustig, ich hatte eigentlich eine gegenläufige Perspektive: :har:

In bestehenden Systemen hat langfristig betrachtet der Helfende den größeren Gewinn, wenn er immer der Helfende ist. Dank ist nebensächlich: durch das Helfen kommt er in die Rolle des Stärkeren. Das ist ein (relativer) Energiegewinn, bzw. auf Seiten des Empfängers ein Energieverlust. Summieren sich diese Differenzen über lange Zeit auf, so ist der "dauernde Hilfeempfänger" irgendwann zu schwach für alles. Und der "dauernde Helfer" entwickelt womöglich unangenehme Machtallüren, es gelten nur noch seine Prinzipien. Ist es ein Zufall, dass viele Ärzte nach hinreichend langer Berufstätigkeit ein geregeltes Maß an Selbstherrlichkeit entwickeln? Auch habe ich es schon mehrfach beobachtet, dass Menschen, die seit ihrer Kindheit chronisch krank sind, noch im fortgeschrittenen Alter unter der Fuchtel eines Elternteils stehen, also dem früheren "Dauerhelfer".

Die sog. Undankbarkeit halte ich an der Stelle schlicht für eine instinktive Abwehr des gefühlten, aber nicht verstandenen Kräfteungleichgewichts. Eine Verbesserung der Situationen kann nur entstehen, wenn die Rollen öfter gewechselt werden: der Helfende also um Hilfe bittet, und der Hilfeempfänger auch Hilfe leistet.

Ausgelaugt wird der Helfende meist nur da, wo seine Angebote vom Empfänger sabotiert werden. Also bei solchen Fällen, wie gabors letzten Beispiele sein könnten, wo sich der Empfänger Vorschläge vielleicht wieder und wieder anhören mag, er aber im Endeffekt nichts ändert. Vielleicht braucht er sein Problem aus irgendwelchen Gründen und möchte es deshalb behalten. Probleme können einem ja auch Vorteile bringen, so eindeutig und geradlinig ist die Welt nicht. Mal abgesehen davon, dass dieses Klammern am Problem halt auch eine Möglichkeit ist, die "energetische Unterlegenheit" - s.o. - zu vermeiden.

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Re: Die Ethik der Hilfsbereitschaft [Diskussion]

Beitrag von Ich »

gabor hat geschrieben:Hilfe zur Selbstdarstellung ist zum Kotzen!
Das sowieso.
Amimatani hat geschrieben:Dank ist nebensächlich ...
Und im Grunde auch gar nicht nötig.
Amimatani hat geschrieben:... Die sog. Undankbarkeit halte ich an der Stelle schlicht für eine instinktive Abwehr des gefühlten, aber nicht verstandenen Kräfteungleichgewichts."
Das kann mitunter so sein, ist meiner Ansicht nach aber nur ein kleiner Teilfaktor. Bewußter Undank (vielleicht sogar noch in aktiver Form) ist ziemlich übel - und auch häufiger (was natürlich auch mit dem o.g. fehlenden Gleichgewicht zu tun hat, aber unter anderen Voraussetzungen).
Amimatani hat geschrieben:... Vielmehr schleichen sich da gerne "feste Hilfestrukturen" ein: auf der einen Seite gibt es die Helfenden, auf der anderen Seite gibt es die Hilfeempfänger. Und solche Strukturen weiten sich zu durchaus schädlichen psychischen Macht- und Abhängigkeitsstrukturen aus.
Diese Maschen (welche natürlich von beiden Seiten auf unterschiedliche Art und Weise ausgeführt werden können) sind häufig anzutreffen; aber mit echter Hilfsbereitschaft hat das natürlich nichts mehr zu tun. Im Gegenteil, da hier der Eigennutz - unter Umständen auch oft auf Kosten des anderen Parts - ganz bewußt (primär) angestrebt wird.
Ich will aber auch nicht behaupten, daß Hilfsbereitschaft im Grunde selbstlos o.ä. wäre! Denn ganz nüchtern betrachtet ist letztendlich (!) der natürliche Sinn des ganzen (situationsbedingt häufig ebenso unbewußt) doch ein gemeinsamer.
Daimao_Koopa hat geschrieben:Sprich die "Gefahr" öfter am gebenden Ende der Kommunikation zu sein, als am empfangenden Ende. Manchmal fragt man sich sicher, wo denn der Ausgleich für solche Opfer bleibt.
Amimatani hat geschrieben:Lustig, ich hatte eigentlich eine gegenläufige Perspektive: :har:

In bestehenden Systemen hat langfristig betrachtet der Helfende den größeren Gewinn, wenn er immer der Helfende ist. Dank ist nebensächlich: durch das Helfen kommt er in die Rolle des Stärkeren. Das ist ein (relativer) Energiegewinn, bzw. auf Seiten des Empfängers ein Energieverlust. ...
An dieser Stelle - an nur zwei Beispielen - mal eine unbewertende Beobachtung meinerseits: Ihr beiden fokussiert Euch bei diesem Thema - u.a. - ziemlich stark auf den "Kosten-Nutzen-Faktor".
Kann das sein?
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Re: Die Ethik der Hilfsbereitschaft [Diskussion]

Beitrag von Amimatani »

Ich hat geschrieben:
Amimatani hat geschrieben:... Vielmehr schleichen sich da gerne "feste Hilfestrukturen" ein: auf der einen Seite gibt es die Helfenden, auf der anderen Seite gibt es die Hilfeempfänger. Und solche Strukturen weiten sich zu durchaus schädlichen psychischen Macht- und Abhängigkeitsstrukturen aus.
Diese Maschen (welche natürlich von beiden Seiten auf unterschiedliche Art und Weise ausgeführt werden können) sind häufig anzutreffen; aber mit echter Hilfsbereitschaft hat das natürlich nichts mehr zu tun. Im Gegenteil, da hier der Eigennutz - unter Umständen auch oft auf Kosten des anderen Parts - ganz bewußt (primär) angestrebt wird.
Stimmt, echte Hilfsbereitschaft ist das nicht. Aber auch meistens keine bewusste Masche oder Berechnung. Alle Beteiligten sehen da meist durchaus Gutwilligkeit, eben z.B. in Familien. Gerade in Familien gibt es ja recht häufig die Situation: "auf der einen Seite diejenigen, denen geholfen wird, auf der anderen Seite diejenigen, die helfen".
Ich hat geschrieben: Ich will aber auch nicht behaupten, daß Hilfsbereitschaft im Grunde selbstlos o.ä. wäre! Denn ganz nüchtern betrachtet ist letztendlich (!) der natürliche Sinn des ganzen (situationsbedingt häufig ebenso unbewußt) doch ein gemeinsamer.
Das halte ich eben für sehr wesentlich in jeder Hilfe-Diskussion: sich klar zu machen, dass es um ein gemeinsames Interesse geht. Die Mehrzahl der Menschen lebt nicht als autarke Eremiten und ist deshalb schlicht auf die wechselseitige Unterstützung angewiesen, um zu überleben.
Ich hat geschrieben:
Amimatani hat geschrieben:Lustig, ich hatte eigentlich eine gegenläufige Perspektive: :har:
In bestehenden Systemen hat langfristig betrachtet der Helfende den größeren Gewinn, wenn er immer der Helfende ist. Dank ist nebensächlich: durch das Helfen kommt er in die Rolle des Stärkeren. Das ist ein (relativer) Energiegewinn, bzw. auf Seiten des Empfängers ein Energieverlust. ...
An dieser Stelle - an nur zwei Beispielen - mal eine unbewertende Beobachtung meinerseits: Ihr beiden fokussiert Euch bei diesem Thema - u.a. - ziemlich stark auf den "Kosten-Nutzen-Faktor".
Kann das sein?
Soweit es mich betrifft, stimmt das. Na ja, vielleicht weniger Kosten-Nutzen-Faktor, als vielmehr Gleichgewichtsfaktor. Es sind sind bei mir aktuell konkrete persönliche Gründe, dass ich mich darauf konzentrierte: ich musste mich im letzten Jahr aus gesundheitlichen Gründen für mich selbst mit dieser Frage beschäftigen. Daher wohl auch mein Engagement in dieser Diskussion; ich schraub das jetzt wieder zurück. ;) Zu anderen Zeiten habe ich auch andere Aspekte der Hilfsbereitschaft gesehen. Kurz und knapp: mein eigenes System war letztes Jahr körperlich so geschwächt, dass jede (durchaus gutwillige!) unausgewogene Hilfe, die ich erhielt, das Potential besaß, mich (unübertrieben) zu killen. Eben gerade, indem das ohnehin gestörte energetische Gleichgewicht noch stärker Richtung "Schwäche" verschoben wurde. Das war eine ganz reale körperliche Erfahrung, aus der ich schlicht meine gedanklichen und Handlungskonsequenzen gezogen habe. Davon ist in diese Diskussion meinerseits einiges eingeflossen. That's it.

Soweit es mich betrifft, ist mir die starke Subjektivität dabei durchaus klar. Da das Kräftegleichgewicht ein gern übersehener Aspekt der Hilfediskussion ist, fand ich's trotzdem wichtig, ihn hier mit einzubringen.

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Re: Die Ethik der Hilfsbereitschaft [Diskussion]

Beitrag von Daimao_Koopa »

Ich hat geschrieben:Siehst Du das wirklich auch schon bei diesem speziellen (o.g.) Beispiel aus diesem Blickwinkel?
Oh ja! Grund dafür ist die Tatsache, dass auch in eine scheinbar so unbedeutende Aktion, wie das Freimachen eines Sitzplatzes
einen gewissen Energieaufwand bedarf. Energie ist für mich (und Meinesgleichen) der Dreh- und Angelpunkt einer jeden Aktion.

Mir geht es in solchen Situationen um einen (wenn auch nur minimalen!) Ausgleich. Wo etwas genommen wird, muss etwas gegeben
werden! Warum? Damit ich mir sicher sein kann, dass meine Hilfe (und der daraus entstehenden Aufwand) wert geschätzt wird.
Ich verschwende meine Energie (die für mich einen sehr hohen Stellenwert hat!) extrem ungerne an Personen, die sich einen Dreck
darum scheren, dass ich gerade einen Teil von mir selbst für ihr Wohl/ihre Sache geopfert habe!

Dieser Grundsatz gilt aber nur für Personen, die mir nicht nahe stehen, da im Falle von Solchen, die mir wichtig sind/ich eine engere
Beziehung habe, eine Wertschätzung (und damit ein Ausgleich in welcher Form auch immer) ganz automatisch erfolgt.
gabor hat geschrieben:Hilfe zur Selbstdarstellung ist zum Kotzen!
Mindestens genau so sehr, wie aus Gewohnheit geborene Erwartungshaltungen !
Amimatani hat geschrieben:In bestehenden Systemen hat langfristig betrachtet der Helfende den größeren Gewinn, wenn er immer der Helfende ist.
In langfristigen Hilfestrukturen, Ja. Nicht aber bei all den kurzlebigen Alltagsbegegnungen (auf die ich mich - und wie ich dachte auch du - bezog).
Amimatani hat geschrieben:Probleme können einem ja auch Vorteile bringen, so eindeutig und geradlinig ist die Welt nicht.
Probleme verursachen aber auch immer (je nach Situation mehr oder weniger) Stress und zehren auch an der Lebenskraft.
Die Opferrolle mag zwar vordergründig von (trügerischem) Vorteil sein, ist (in Gesamtheit) auf lange Dauer aber der sichere
Weg ins energetische Aus.
Ich hat geschrieben:Ihr beiden fokussiert Euch bei diesem Thema - u.a. - ziemlich stark auf den "Kosten-Nutzen-Faktor". Kann das sein?
Für meinen Teil ist das sogar notwendig so. Energieeffizienz ist für jemanden wie mich ganz selbstverständlich etwas Essentielles.
Hinzu kommt der (persönliche) Wert, den ich meiner eigenen Energie (und damit Hilfe) zuschreibe.

Und wenn jemand diesen Wert nicht zu schätzen weiß (was für mich wiederum mit grundlegendem Respekt zu tun hat, denn ich bin weder
jedermanns Diener, noch der Sklave von Konventionen), überlege ich mir eben 2-3 mal mehr, ob mir das Opfern meiner Energie für
eine fremde Sache es nochmal wert ist.
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