Der Fehler des Menschen (Ein Essay)

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Alveradis
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Der Fehler des Menschen (Ein Essay)

Beitrag von Alveradis »

Sooo: Hier ein Essay von mir zum Nachdenken und Kritisieren.
Viel Spaß beim Lesen.


"Der Fehler des Menschen ist, dass er nicht schnell genug kaputt geht."
So sinngemäß sagte es einst Bert Brecht in seinem Drama 'Im Dickicht der Städte'. Eine sehr povokante These, der auf den ersten Blick jede Kämpfernatur (mich eingeschlossen) vehement wiedersprechen wird. Man kann niemals zu langsam kaputt gehen, denn solange man auch nur einen Hauch von Leben und Kapmfgeist in sich trägt, hat man nicht verloren und der Kampf wird zu Recht weitergeführt.

Doch nach einiger Zeit begann dieses Zitat in meinem Kopf zu wirken und sank immer tiefer, bis ich meiner Bedeutung für diesen Satz auf den Grund gehen konnte. Wer schon einmal gekämpft hat, (mit Wesenheiten, die einem zumindest soweit gewachsen sind, dass man sie nicht mit einem halbherzigen Schlag niederstrecken kann) der wird, besonders deutlich bei geistigen Duellen, zum Teil auch bei Körperlichen Kämpfen folgende Beobachtung gemacht haben: Es ist erstaunlich, wie einfach man jemandem (bildlich gesprochen) einen Schlag in die Magengegend verpassen kann, von der er oder sie sich nicht allzu bald erholen wird. So geht das einige Zeit, aber wenn erst einmal ein gewisser Punkt erreicht ist, geht es kaum noch weiter, veränderungsarm stagniert der Kampf fast, die gegenseitigen Schläge richten kaum noch etwas aus, das Zerstörbare ist zerstört, nun hat sich ein gewisser Status Quo zwischen den niedergeknüppelten, halbtoten Gegnern eingependelt, der Effekt der Attacken nimmt also 'hyperbisch' ab. Wenn der Kampf nun nicht beendet wird, beginnt eine lange Zeit des Leidens, ein schmutziger Kampf in dem irgendwann der Grund verloren geht und man nur noch kämpft, weil man es muss. Jeder Schlag bringt einen dem Ende ein kleines Stück näher, doch wirklich am Ende ist man noch lange nicht. In solchen Situationen der Halbexistenz weist der Mensch eine extreme Zähheit auf, der Überlebensinstinkt schaltet sich ein. Und so steigert sich der Leidensweg ins Unermessliche. Und auch, wenn der Kampf nun noch gewonnen wird, man hat zu viel verloren, wird die Narben ewig spüren. Der Mensch ist nun also zu langsam kaputt gegangen.

In der westlichen Kultur ist ein Kampf, beispielsweise mit dem Schwert langgezogen angelegt. Der Gegner wird mit vielen Schlägen, durch viele Verwundungen geschwächt, besiegt, ein Sieg durch nur einen Schlag bei gleich starken Gegnern ist eher selten. Dem enstsprechend sind auch die Schwerter geschmiedet: breit, schwer, etwas sperrig, eben um klaffende, stark blutende Wunden zu schlagen, die schließlich zur Kampfunfähigkeit führen. Dieser Kampfstil hatte auch Leiden bis lange nach dem Kampf zur Folge: Die Wunden konnten sich entzünden, Gliedmaßen mussten amputiert werden, nicht selten erlag der Überlebende lange nach dem Kampf seinen schweren Verletzungen.

Im krassen Gegensatz dazu steht die östliche Kunst des Schwerkampfes, besonders bekannt durch die japanischen Samurai. Nicht nur, dass der Schwertkampf in Asien viel enger mit Philosophie, Weisheit und Weltverständnis verknüpft war, als in Europa, auch die Schwerter unterscheiden sich stark von ihren europäischen Vettern: Sie sind leichter, die Klingen dünn und ungeheuer scharf. Das Schwert ist kein besserer Prügel mehr (wobei ich nichts gegen ein ausbalanciertes, gut geschmiedetes Schwert aus europäischer Schmiede sagen will) sondern ein Kunstwerk. Der mit dem Schwert verbundene Krieger ist Ausdruck dieses speziellen Kampfstils: Sieg durch einen einzigen Schlag!

Ist euch schon mal aufgefallen, dass es in japanischen Legenden und Erzählungen so gut wie nie Veteranen gibt, die durch den Kampf verkrüppelt wurden? (Zumindest um Klassen weniger als z.B. in der nordischen Mythologie). Das liegt schlicht und einfach daran, dass es in der japanischen Kampfkunst nicht vorgesehen ist, seinen Gegner (ohne die Gewissheit ihn darauf töten zu können) zu verstümmeln oder zu verletzen. Die Gegner umkreisen sich lauernd, testen Stärken und Schwächen aus, kreuzen die Klingen fast spielerisch. Während dieser 'Vorphase', die den eingentlichen Kampf ausmacht, bündeln sie ihre Kraft, die dann in einem, im Normalfall tödlichen, Schlag fokussiert wird.

Auch in einem geistigen Duell scheint mir diese Art des Kampfes erstrebenswert: Die Opfer werden in Grenzen gehalten. In einem realen Schwertkampf kann ein japanisches Schwert nicht gegen seinen europäischen Vetter bestehen. Die Klinge ist zu dünn, zerbricht beim ersten Kontakt mit dem massiven europäischen Schwert (auch wenn es Legenden zu Folge ja Schwertschmiede gegeben haben soll, die Schwerter schmiedeten von solche unvorstellbarer Schärfe, dass sie sogar Stahl schneiden konnten. Aber ich gehe jetzt mal von einem 'Durchschnittsschwert' aus.) Doch im geistigen Ringen können sich diese Typen gegenüberstehen. Der 'japanische' Krieger wehrt sich gegen die stetigen Attacken des 'europäischen' Gegners und sammelt sich (je nachdem, wie viel Kraft ihm nach der Verteidigung noch bleibt, schneller oder weniger schnell) für den finalen Schlag, während der andere auf die kontinuierliche Schwächung des Gegners setzt, die letzendlich zu obengenanntem Hinsieden eines 'normalen' Gegners führt. So viel zum ersten Aspekt, den man aus diesem Text herauslesen kann.



Doch in Brechts Zitat verbirgt sich noch eine weitere Weisheit: Wenn es ein Fehler ist, zu langsam kaputt zu gehen, dann wäre ein möglicher Umkehrschluss: Es ist besser, schnell(er) kaputt zu gehen.
Auf den ersten Blick wenig sinnvoll, doch auch hier muss man (wie so oft) tiefer blicken. Wie bereits erwähnt: Der Mensch siecht nur deshalb so lange, weil nun die enormen verborgenen Kraftreserven angezapft werden. Gäbe es nun diese Kraftreserven nicht, wäre man schneller am Ende. Doch Energien verschwinden nicht einfach so, irgendwo muss diese verborgene Kraft also hin, wenn man sie loswerden soll. Und da liegt doch wohl ein Ort am Nächsten: Ins Nicht-Verborgene, als Teil der aktiven, beherrschbaren Kraft.

Wenn man diesen Energietransfer vollzieht, nutzt man nun nicht mehr nur 10% der verfügbaren Kraft, sonden 30%, vielleicht sogar 40%, oder 70, je nachdem, wie viel dieser Energie man transferieren kann und will. Natürlich ist nun die 'Knautschzone' in der man sich nach einem Fall wieder fangen kann, um einiges kleiner. Aber wer diese Tatsache (und vor allem sich selbst!) nicht überschätzt, dem reicht diese Zeit, um sich wieder aufzurappeln. Und auch, wenn man im 'kaputten' Zustand viel schneller zu vernichten ist, es dauert um einiges länger, bis es überhaupt so weit kommt. Während dein Gegner bereits am Boden liegt und nichts anderes tun kann, als dir in die Waden zu beissen, kannst du ihn immer noch von oben attackieren: Defintiv die bessere Position!

Diese Charakteristik eines Kriegers kommt einem häufiger unter. Man bedenke nur all diese Drachen, feindlich gesinnten Magier, bösen Könige, übermächtigen Krieger, und und und, die jahrelang unbesiegt durch Leben wandeln und erst von dem Helden der Geschichte in einem kurzen blutigen Kampf niedergestreckt werden. Wenn der 'Bösewicht' fällt, ist das sein Tod, häufig reicht dann nur noch ein weiterer Schlag. Auf den ersten Blick nicht wirklich vorteilhaft, eine Schwächung gegenüber einem 'normalen' Kämpfer, schließlich reicht es aus, 'nur' die Schwachstelle zu finden und den Gegner zu Boden zu knüppeln. ABER: Wie sind denn all diese Wesen erst in die Stellung eines unbesiegbaren Bösewichts gekommen? Was hat sie im Winden der Welt erst bestehen lassen?
Eben dieser innere Energietransfer. Die Angriffsfläche des Kriegers ist glatt und nahezu kückenlos (denn im 'heilen' Zustand beherrscht der Krieger noch die Kunst der Täuschung, seine natürlichen Schutzmechanismen sind intakt), der Krieger bricht nicht ein. Und dann versuch mal, so jemanden zu Boden zu werfen. Das schafft - wenn überhaupt - nur ein Held von dem man noch Jahrhunderte später noch erzählt werden kann und wird!
- Harmony, like a following breeze // at sea, is the exception." (Harvey Oxenhorn, Turning the rig)
- Der beste Ort, das Kriegsbeil zu begraben ist in deinem Gegner!"

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