Auszug Radiointerview: 6 Schichten im Begriff ^Dämon^

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Tinúviel
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Auszug Radiointerview: 6 Schichten im Begriff ^Dämon^

Beitrag von Tinúviel »

1. griechisch "daimon"
- bedeutet etymologisch "Zuteiler"/"Zerteiler" und verweißt sowohl auf das Raubtier als auch auf den Nahrung verteilenden Hausvater
- werden seit Plutarch als Mittlerwesen zwischen Göttern und Menschen verstanden, Platon nennt sie im Symposion "Dolmetscher und Fährleute", das daimonium des Sokrates ist eine innere Stimme im Sinne eines Schutzgeistes, im Staat heißt es, daß sich jeder Mensch seinen daimon selbst erlost.
2. im Judentum/Christentum
- Mythos der gefallenen Engel in der apokryphen Literatur wie dem Buch Henoch, Einverleibung babylonischer Gottheiten im Exil, Abwertung der unreinen Geister zu Dämonen seit Augustinus, teilweise Dämonisierung aller Gottheiten anderer Religionen
3. im Islam
- neben dem alten vorislamischen Dschinn-Kult wurden die Götter nicht-monotheistischer Religionen (wie die der Inder) dämonisiert
4. Die ältere Religionswissenschaft weitet den Begriff auf alle Geistwesen fremder Religionen aus, die nicht den Rang eines Gottes haben (das ist allerdings teilweise unpräzise, da etwa der bzw. die Exu in afro-brasilianischen Religionen eher als Trickser zu verstehen sind, es handelt sich also um Geschöpfe, die vielleicht ähnlich einem Kobold eher etwas unberechenbarer und eigenwilliger sind, aber keines falls böse. Sie sind mehr wie der Götterbote Hermes Überbringer von ashe, einem afrikanischen Sinnbild der Kraft in der Sprache der Yoruba, eröffnen jedes Ritual, jede Arbeit mit den Geistern.
Ähnlich sind die Geister von unnatürlich Verstorbenen oder nicht rite Begrabenen nur etwas launischer. Wie auch im haitianischen Voodoo wurden die afro-brasilianischen Religionen wie Candomblé, Macumba oder Umbanda oft mit Teufelskult und Dämonenbesessenheit - insbesondere von christlichen Missionaren - in Verbindung gebracht und auf Randphänomene wie angebliche Fälle von Zombies oder dann sogenannte schwarze Magie mit Voodoopuppenn reduziert.
Aber es kommt noch komplizierter:
5. Esoteriker, Eklektiker, "Magier" benutzen nun diese alten Werke der Religionswissenschaft und deuten die vermeintlichen "Dämonen" fremder Kulturen teilweise in den christlichen Dämonenbegriff ein oder nähern sie diesem zumindestens an. Das kann auch direkt praktisch geschehen im Sinne neuer Religionen wie die durch Spiritisten begründeten der Umbanda in Brasilien, welche den oder die Exu mit Luzifer und seiner Armee von Teufeln verbinden, oder der Cao-Dai in Vietnam, die ihre schamanistischen Sitzungen mit dem Heiligen Geist in Verbindung bringen.
6. Im Zuge der Globalisierung dieser "magischen Ideen" sowie der christlichen Ethik von Gut und Böse verändern sich tatsächlich auch die von der älteren Religionswissenschaft als "Dämon" bezeichneten Wesen. Zugleich entstehen hierzulande Neo-Voodoo, Neo-Schamanismus, zum größeren Teil inspiriert durch eine weitere Generation berufener oder vermeintlicher Religionswissenschaftler und Ethnologen, die nun Religionsstifter wurden, und unsere Dämonen für den Trickster-Begriff öffneten, der bereits vorher durch die Esoterik um die von ihm abgetrennten antiken Ideen und um die Dimension der Jung'schen Tiefenpsychologie bereichert wurde. Es bleibt also spannend.
Gast

Beitrag von Gast »

Als Ethnologe kann ich hinzufügen, das Dämonen sehr viel älter sind als das gut-böse-Schema, welches erstmals durch Zarathustra zu einem wesentlichen grundgedanken einer religion gemacht wurde.
Dämonen sind Wesen, die meistens eher destruktiv als konstruktiv handeln, immer aber weniger mächtig als Götter sind. :|| , den Menschen aber Schaden zufügen können. Sie haben bisweilen wandelbare oder gar keine körper und manchmal auch keine individualität.
Oft werden Götter, die nicht mehr verehrt werden, zu dämonen- die verehrung ist auch das wichtigste kriterium. dämonen betet man nicht an und opfert ihnen nicht, weil sie zu machtlos sind und man inen nicht vertrauen kann.

Ein schönes Beispiel: Indien und Persien!!
in Indien heißen diw Götter devas, die dämonen Asuras, denen man nicht opfert.
In Persien ist es genau umgekehrt: Ahura ist ein göttertitel (z.B. Ahura Mazda), während daevas die Dämonen sind.

Hat jemand dafür eine plausible Erklärung?
Tinúviel (uneingeloggt)

Beitrag von Tinúviel (uneingeloggt) »

Die Erklärung dürfte darin liegen, daß beides Klassen höherer Wesen waren, die letztlich unterschiedlich umgewertet worden sind. Es gibt im frühen Zarathuristrismus einige Texte, welche stark gegen die Anbeter der daevas gerichtet sind. Auch Indra gehörte dazu. In Persien wurde er nicht zu einem Ahura. Dafür war er im indischen Rigveda einer der wichtigsten Götter (devas). Warum es in Indien genau andersherum geschah - nun, vielleicht müsste man da auf die Kriege schauen in der Zeit um 1000 v.u.Z.

viele Grüße

Tinú
tlahuizcalpantecutli

Beitrag von tlahuizcalpantecutli »

*auf die kriege schau*
hmm, verschwommenes bild
große kriege, wie sie z.B. im Mahabharata geschildert werden, hat's in wirklichkeit aber eher wohl nicht gegeben
asura (>z.B. asen) und daevas (>deus, theos, zeus, Tyr, deutsch, dienstag) sind alte indoeuropäidsche begriffe für Gott oder dämon.
ein krieg zwischen anhängern beider gruppen, von denen eine die um 1500 v chr. einwandernden indoeuropäer gewesen sein könnten, lag also eher nicht vor, sondern ein grundsätzlicher Gegensatz zwischen beiden gruppen, den die vorfahren der inder und iraner als bestandteil ihrer religion hatten.
interessant, wie sich dass dann weoter entwickelt hat...