Wenn der Krieg noch 2 Jahre dauert
Verfasst: 5. Apr 2005 19:54
Hermann Hesse? Kennt jeder!
(deutscher Nobelpreisträger)
Das bekannteste Buch ist wohl Siddhartha, bestimmt kennt ihr die Geschichte, als der junge Buddha bei Kamala die Liebe lernt.
Von Hesse stammt auch der Spruch:
Es gibt keine Frau, ohne die man nicht leben kann, und keine Frau, mit der man nicht leben kann.
Das alles ist ja bekannt, weniger bekannt aber ist diese Geschichte:
(Suhrkamp-Werkausgabe Band 10, Die Geschichte hat fast 9 Seiten, ich destilliere das für mich Wesentliche in einigen Zitaten)
Wenn der Krieg noch 2 Jahre dauert (1917)
Als ich wiederkam, war es 1920, und zu meiner Enttäuschung standen sich überall noch immer mit der geistlosen Hartnäckigkeit die Völker im Kriege gegenüber. Es waren einige Grenzen verschoben, einige ausgesuchte Regionen höherer Kulturen mit Sorgfalt zerstört worden, aber alles in allem hatte sich äußerlich auf der Erde nicht viel verändert.
Groß war der erreichte Fortschritt in der Gleichheit auf Erden. Wenigstens in Europa sah es in allen Ländern wie ich höre, genau gleich aus,...
Wenn der ewige Friede nicht zu haben war, so zog man mit aller Entschiedenheit den ewigen Krieg vor, und die Sorglosigkeit, mit welcher die Munitionsballons aus ungeheuren Höhen ihren Segen auf Gerechte und Ungerechte regnen ließen, entsprach dem Sinn des Krieges vollkommen.
Ich sagte, ich gehe spazieren. Er: Haben sie Erlaubnis? Ich verstand ihn nicht, es gab einen Wortwechsel, und er forderte mich auf, ihm in das nächste Amtshaus zu folgen.
„Beschäftigungslose Zivilisten“ stand auf einem Schilde, und die Nummer 2487 B4 war dabei. Dort gingen wir hinein.
Ein Beamter stand vor mir, und musterte mich. „Können sie nicht strammstehen?“ fragte er streng. Ich sagte: „Nein“. Er fragte: “Warum nicht?“ „Ich habe es nie gelernt“, sagte ich schüchtern.
„Also, sie sind dabei festgenommen worden, wie sie ohne Erlaubnisschein spazierengegangen sind. Geben Sie das zu?“
„Ja“, sagte ich, „das stimmt wohl. Ich hatte es nicht gewußt. Sehen Sie, ich war längere Zeit krank – „
Er winkte ab. „Sie werden dadurch bestraft, daß ihnen für 3 Tage das Gehen in Schuhen untersagt wird. Ziehen Sie ihre Schuhe aus!“
Ich zog meine Schuhe aus.
...Zeigen Sie übrigens doch einmal ihre Ausweispapiere!“ Lieber Gott, ich hatte keine.
...„Sie sind ohne Ausweispapiere auf der Straße angetroffen worden. Sie bezahlen zweitausend Gulden Buße. Ich schreibe sofort die Quittung.“
„Um Vergebung“, sagte ich zaghaft, „so viel habe ich nicht bei mir. Können Sie mich nicht statt dessen einige Zeit einsperren?“
Er lachte hell auf.
„Einsperren? Lieber Mann, wie denken sie sich das? Glauben Sie, wir hätten Lust Sie auch noch zu füttern? – Nein, mein Guter, wenn Sie die Kleinigkeit nicht zahlen können, bleibt ihnen die härteste Strafe nicht erspart. Ich muß Sie zum provisorischen Entzug der Existenzbewilligung verurteilen! Bitte geben Sie mir Ihre Existenzbewilligungskarte!
Ich hatte keine.
Der Beamte war nun ganz sprachlos. Er rief zwei Kollegen herein, flüsterte lange mit ihnen, deutete mehrmals auf mich, und alle sahen mich mit Furcht und tiefem Erstaunen an. Dann ließ er mich, bis mein Fall beraten wäre, in ein Haftlokal abführen.
Nach einigen Stunden holte man mich ab.
„Sie haben sich in eine recht böse Lage gebracht“, fing er an. „Sie halten sich in hiesiger Stadt auf und sind ohne Existenzbewilligungsschein. Es wird ihnen bekannt sein, daß die schwersten Strafen darauf stehen.“
Ich machte eine kleine Verbeugung.
„Erlauben Sie“, sagte ich, „ich habe eine einzige Bitte an Sie. Ich sehe vollkommen ein, daß ich der Situation nicht gewachsen bin und daß meine Lage nur immer schwieriger werden muß. – Ginge es nicht an, daß sie mich zum Tode verurteilen? Ich wäre sehr dankbar dafür!“
Milde sah mir der hohe Beamte in die Augen.
„Ich begreife“, sagte er sanft. „Aber so könnte schließlich jeder kommen! Auf alle Fälle müßten Sie vorher eine Sterbekarte lösen. Haben Sie Geld dafür? Sie kostet viertausend Gulden.“
„Nein, so viel habe ich nicht. Aber ich würde alles geben, was ich habe. Ich habe großes Verlangen danach zu sterben.“
Er lächelte sonderbar.
„Das glaube ich gerne, da sind Sie nicht der einzige. Aber so einfach geht das mit dem Sterben nicht. Sie gehören einem Staate an, lieber Mann, und sind diesem Staate verpflichtet mit Leib und Leben. Das dürfte ihnen doch bekannt sein.
....
- Aber sagen Sie, könnten sie mir eine Sterbekarte verschaffen? Ich wäre ihnen fabelhaft dankbar.“
Es wird vielleicht gehen. Vorher müssen Sie aber eine Existenzbewilligung haben. Ohne sie wäre natürlich jeder Schritt aussichtslos.
....
„Noch eines!, sagte ich leise. „Darf ich noch eine Frage an sie stellen? Sie können sich denken, wie schlecht orientiert ich in allem Aktuellen bin.“
„Bitte ,bitte“
„Ja, also – vor allem würde mich interessieren, zu wissen, wie es möglich ist, daß bei diesen Zuständen das Leben überhaupt noch weitergeht. Hält denn ein Mensch das aus?
„Es gibt sehr wenige Zivilpersonen mehr. Wer nicht Soldat ist, der ist Beamter. Schon damit wird für die meisten das Leben viel erträglicher, viele sind sogar sehr glücklich. Und an die Entbehrungen hat man sich eben so allmählich gewöhnt. Als das mit den Kartoffeln allmählich aufhörte und man sich an den Holzbrei gewöhnen mußte – er wird jetzt leicht geteert und dadurch recht schmackhaft - , da dachte jeder, es sei nicht mehr auszuhalten. Und jetzt geht es eben doch. Und so ist es mit allem.“
„Ich verstehe“, sagte ich. „Es ist eigentlich weiter nicht erstaunlich. Nur eines verstehe ich nicht ganz. Sagen Sie mir: wozu eigentlich macht nun die ganze Welt diese riesigen Anstrengungen? Diese Entbehrungen, diese Gesetze, diese tausend Ämter und Beamte – was ist es eigentlich, was man damit beschützt und aufrechterhält?
Erstaunt sah der Herr mir ins Gesicht.
„Ist das eine Frage!“ rief er mit Kopfschütteln. „Sie wissen doch daß Krieg ist, Krieg in der ganzen Welt! Und das ist es, was wir erhalten, wofür wir Gesetze geben, wofür wir Opfer bringen. Der Krieg ist es. Ohne diese enormen Anstrengungen und Leistungen könnten die Armeen keine Woche länger im Felde stehen. Sie würden verhungern – es wäre unausstehlich!“
„Ja“, sagte ich langsam, „das ist natürlich ein Gedanke! Also der Krieg ist das Gut, das mit solchen Opfern aufrechterhalten wird! Ja, aber – erlauben Sie eine seltsame Frage – warum schätzen Sie den Krieg so hoch? Ist er denn das alles wert?
Ist denn der Krieg überhaupt ein Gut?
„Lieber Herr Sinclair“, sagte er, „Sie sind sehr weltfremd geworden“.
„Der Krieg ist es einzig und allein, dem wir es verdanken, daß noch soetwas wie Ordnung, Gesetz, Gedanke, Geist in der Welt vorhanden ist. Können Sie das nicht sehen?“
Ja, nun sah ich es ein, und ich dankte dem Herrn sehr.
Dann ging ich davon und steckte die Empfehlung an das Amt 127 mechanisch in die Tasche. Ich hatte nicht im Sinne, von ihr Gebrauch zu machen, es war mir nichts daran gelegen, noch irgendeines dieser Ämter zu belästigen.Und noch ehe ich wieder bemerkt und zur Rede gestellt werden konnte, sprach ich den kleinen Sternensegen in mich hinein, stellte meinen Herzschlag ab, ließ meinen Körper im Schatten eines Gebüsches verschwinden und setzte meine vorherige Wanderung fort, ohne mehr an Heimkehr zu denken.
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Meine Geschichen kennt ihr ja, und wenn nicht dann gucke mal da: [url]undefined://f17.parsimony.net/forum30317/messages/18835.htm[/url]
(deutscher Nobelpreisträger)
Das bekannteste Buch ist wohl Siddhartha, bestimmt kennt ihr die Geschichte, als der junge Buddha bei Kamala die Liebe lernt.
Von Hesse stammt auch der Spruch:
Es gibt keine Frau, ohne die man nicht leben kann, und keine Frau, mit der man nicht leben kann.
Das alles ist ja bekannt, weniger bekannt aber ist diese Geschichte:
(Suhrkamp-Werkausgabe Band 10, Die Geschichte hat fast 9 Seiten, ich destilliere das für mich Wesentliche in einigen Zitaten)
Wenn der Krieg noch 2 Jahre dauert (1917)
Als ich wiederkam, war es 1920, und zu meiner Enttäuschung standen sich überall noch immer mit der geistlosen Hartnäckigkeit die Völker im Kriege gegenüber. Es waren einige Grenzen verschoben, einige ausgesuchte Regionen höherer Kulturen mit Sorgfalt zerstört worden, aber alles in allem hatte sich äußerlich auf der Erde nicht viel verändert.
Groß war der erreichte Fortschritt in der Gleichheit auf Erden. Wenigstens in Europa sah es in allen Ländern wie ich höre, genau gleich aus,...
Wenn der ewige Friede nicht zu haben war, so zog man mit aller Entschiedenheit den ewigen Krieg vor, und die Sorglosigkeit, mit welcher die Munitionsballons aus ungeheuren Höhen ihren Segen auf Gerechte und Ungerechte regnen ließen, entsprach dem Sinn des Krieges vollkommen.
Ich sagte, ich gehe spazieren. Er: Haben sie Erlaubnis? Ich verstand ihn nicht, es gab einen Wortwechsel, und er forderte mich auf, ihm in das nächste Amtshaus zu folgen.
„Beschäftigungslose Zivilisten“ stand auf einem Schilde, und die Nummer 2487 B4 war dabei. Dort gingen wir hinein.
Ein Beamter stand vor mir, und musterte mich. „Können sie nicht strammstehen?“ fragte er streng. Ich sagte: „Nein“. Er fragte: “Warum nicht?“ „Ich habe es nie gelernt“, sagte ich schüchtern.
„Also, sie sind dabei festgenommen worden, wie sie ohne Erlaubnisschein spazierengegangen sind. Geben Sie das zu?“
„Ja“, sagte ich, „das stimmt wohl. Ich hatte es nicht gewußt. Sehen Sie, ich war längere Zeit krank – „
Er winkte ab. „Sie werden dadurch bestraft, daß ihnen für 3 Tage das Gehen in Schuhen untersagt wird. Ziehen Sie ihre Schuhe aus!“
Ich zog meine Schuhe aus.
...Zeigen Sie übrigens doch einmal ihre Ausweispapiere!“ Lieber Gott, ich hatte keine.
...„Sie sind ohne Ausweispapiere auf der Straße angetroffen worden. Sie bezahlen zweitausend Gulden Buße. Ich schreibe sofort die Quittung.“
„Um Vergebung“, sagte ich zaghaft, „so viel habe ich nicht bei mir. Können Sie mich nicht statt dessen einige Zeit einsperren?“
Er lachte hell auf.
„Einsperren? Lieber Mann, wie denken sie sich das? Glauben Sie, wir hätten Lust Sie auch noch zu füttern? – Nein, mein Guter, wenn Sie die Kleinigkeit nicht zahlen können, bleibt ihnen die härteste Strafe nicht erspart. Ich muß Sie zum provisorischen Entzug der Existenzbewilligung verurteilen! Bitte geben Sie mir Ihre Existenzbewilligungskarte!
Ich hatte keine.
Der Beamte war nun ganz sprachlos. Er rief zwei Kollegen herein, flüsterte lange mit ihnen, deutete mehrmals auf mich, und alle sahen mich mit Furcht und tiefem Erstaunen an. Dann ließ er mich, bis mein Fall beraten wäre, in ein Haftlokal abführen.
Nach einigen Stunden holte man mich ab.
„Sie haben sich in eine recht böse Lage gebracht“, fing er an. „Sie halten sich in hiesiger Stadt auf und sind ohne Existenzbewilligungsschein. Es wird ihnen bekannt sein, daß die schwersten Strafen darauf stehen.“
Ich machte eine kleine Verbeugung.
„Erlauben Sie“, sagte ich, „ich habe eine einzige Bitte an Sie. Ich sehe vollkommen ein, daß ich der Situation nicht gewachsen bin und daß meine Lage nur immer schwieriger werden muß. – Ginge es nicht an, daß sie mich zum Tode verurteilen? Ich wäre sehr dankbar dafür!“
Milde sah mir der hohe Beamte in die Augen.
„Ich begreife“, sagte er sanft. „Aber so könnte schließlich jeder kommen! Auf alle Fälle müßten Sie vorher eine Sterbekarte lösen. Haben Sie Geld dafür? Sie kostet viertausend Gulden.“
„Nein, so viel habe ich nicht. Aber ich würde alles geben, was ich habe. Ich habe großes Verlangen danach zu sterben.“
Er lächelte sonderbar.
„Das glaube ich gerne, da sind Sie nicht der einzige. Aber so einfach geht das mit dem Sterben nicht. Sie gehören einem Staate an, lieber Mann, und sind diesem Staate verpflichtet mit Leib und Leben. Das dürfte ihnen doch bekannt sein.
....
- Aber sagen Sie, könnten sie mir eine Sterbekarte verschaffen? Ich wäre ihnen fabelhaft dankbar.“
Es wird vielleicht gehen. Vorher müssen Sie aber eine Existenzbewilligung haben. Ohne sie wäre natürlich jeder Schritt aussichtslos.
....
„Noch eines!, sagte ich leise. „Darf ich noch eine Frage an sie stellen? Sie können sich denken, wie schlecht orientiert ich in allem Aktuellen bin.“
„Bitte ,bitte“
„Ja, also – vor allem würde mich interessieren, zu wissen, wie es möglich ist, daß bei diesen Zuständen das Leben überhaupt noch weitergeht. Hält denn ein Mensch das aus?
„Es gibt sehr wenige Zivilpersonen mehr. Wer nicht Soldat ist, der ist Beamter. Schon damit wird für die meisten das Leben viel erträglicher, viele sind sogar sehr glücklich. Und an die Entbehrungen hat man sich eben so allmählich gewöhnt. Als das mit den Kartoffeln allmählich aufhörte und man sich an den Holzbrei gewöhnen mußte – er wird jetzt leicht geteert und dadurch recht schmackhaft - , da dachte jeder, es sei nicht mehr auszuhalten. Und jetzt geht es eben doch. Und so ist es mit allem.“
„Ich verstehe“, sagte ich. „Es ist eigentlich weiter nicht erstaunlich. Nur eines verstehe ich nicht ganz. Sagen Sie mir: wozu eigentlich macht nun die ganze Welt diese riesigen Anstrengungen? Diese Entbehrungen, diese Gesetze, diese tausend Ämter und Beamte – was ist es eigentlich, was man damit beschützt und aufrechterhält?
Erstaunt sah der Herr mir ins Gesicht.
„Ist das eine Frage!“ rief er mit Kopfschütteln. „Sie wissen doch daß Krieg ist, Krieg in der ganzen Welt! Und das ist es, was wir erhalten, wofür wir Gesetze geben, wofür wir Opfer bringen. Der Krieg ist es. Ohne diese enormen Anstrengungen und Leistungen könnten die Armeen keine Woche länger im Felde stehen. Sie würden verhungern – es wäre unausstehlich!“
„Ja“, sagte ich langsam, „das ist natürlich ein Gedanke! Also der Krieg ist das Gut, das mit solchen Opfern aufrechterhalten wird! Ja, aber – erlauben Sie eine seltsame Frage – warum schätzen Sie den Krieg so hoch? Ist er denn das alles wert?
Ist denn der Krieg überhaupt ein Gut?
„Lieber Herr Sinclair“, sagte er, „Sie sind sehr weltfremd geworden“.
„Der Krieg ist es einzig und allein, dem wir es verdanken, daß noch soetwas wie Ordnung, Gesetz, Gedanke, Geist in der Welt vorhanden ist. Können Sie das nicht sehen?“
Ja, nun sah ich es ein, und ich dankte dem Herrn sehr.
Dann ging ich davon und steckte die Empfehlung an das Amt 127 mechanisch in die Tasche. Ich hatte nicht im Sinne, von ihr Gebrauch zu machen, es war mir nichts daran gelegen, noch irgendeines dieser Ämter zu belästigen.Und noch ehe ich wieder bemerkt und zur Rede gestellt werden konnte, sprach ich den kleinen Sternensegen in mich hinein, stellte meinen Herzschlag ab, ließ meinen Körper im Schatten eines Gebüsches verschwinden und setzte meine vorherige Wanderung fort, ohne mehr an Heimkehr zu denken.
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Meine Geschichen kennt ihr ja, und wenn nicht dann gucke mal da: [url]undefined://f17.parsimony.net/forum30317/messages/18835.htm[/url]