Die Nachtigall und die Rose - Oscar Wilde

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Noriel de Morville
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Die Nachtigall und die Rose - Oscar Wilde

Beitrag von Noriel de Morville »

Oscar Wilde
Die Nachtigall und die Rose

»Sie sagte, dass sie mit mir tanzen würde, wenn ich ihr rote Rosen brächte,« rief der junge Student; »aber in meinem ganzen Garten gibt es keine einzige rote Rose.«

Von ihrem Nest in der Steineiche hörte ihn die Nachtigall, schaute durch die Blätter und wunderte sich.

»Keine einzige rote Rose in meinem ganzen Garten!«, rief er, und seine schönen Augen füllten sich mit Tränen. »Ach, von welch kleinen Dingen das Glück abhängt! Ich habe alles gelesen, was kluge Menschen geschrieben haben, alle Geheimnisse der Philosophie sind mein; nun, da ich einer einzigen rote Rose bedarf, ist mein Leben elend.«

»Das ist endlich ein wahrer Liebender,« sagte die Nachtigall. »Nacht für Nacht sang ich von ihm, dachte, ich kenne ihn nicht: Nacht für Nacht erzählte ich seine Geschichte den Sternen und erst jetzt erkenne ich ihn. Seine Haar ist dunkel wie Hyazinthenblüten, und seine Lippen sind rot wie die Rose seines Verlangens; aber Leidenschaft hat sein Gesicht blass wie Elfenbein werden lassen und Sorgen haben ihr Siegel über seinen Augenbrauen hinterlassen.«

»Der Prinz gibt morgen Abend einen Ball,« murmelte der junge Student, »und meine Liebste wird bei der Gesellschaft sein. Wenn ich ihr eine rote Rose bringe, wird sie mit mir bis zur Morgendämmerung tanzen. Wenn ich ihr eine rote Rose bringe, kann ich sie in meinen Armen halten, und sie wird ihren Kopf an meine Schulter lehnen, und ihre Hand wird in meiner liegen. Aber es gibt keine rote Rose in meinem ganzen Garten, also werde ich alleine bleiben und sie wir an mir vorübergehen. Sie wird sich nicht für mich erwärmen und mein Herz wird brechen.«

»Das ist wirklich der wahre Liebende,« sagte die Nachtigall. »Worüber ich singe, läßt ihn leiden, was meine Freude ist, ist sein Kummer. Sicher ist Liebe etwas wundervolles. Sie ist edler als Smaragde und kostbarer als herrliche Opale. Perlen und Granatäpfel können sie nicht erwerben, noch wird sie auf dem Marktplatz feilgeboten. Von keinem Händler kann sie erworben werden, auch in Gold ist sie nicht aufzuwiegen.«

»Die Musiker werden auf dem Podium sitzen,« sagte der junge Student, »und auf ihren Instrumenten spielen, und meine Liebe wird zum Klang der Harfe und der Violine tanzen. Sie wird so leicht dahinschweben, dass ihre Füße den Boden nicht berühen und die Verehrer in ihrer glänzenden Kleidung sich um sie drängen. Aber mit mir wird sich nicht tanzen, da ich keine rote Rose habe um sie ihr zu geben«; und er warf sich ins Gras und vergrub sein Gesicht in den Händen und weinte.

»Warum weint er?«, frage die kleine grüne Eidechse, als sie mit erhobenem Schwanz an ihm vorbei lief.

»Warum nur?«, sagte der Schmetterling, der einem Sonnenstrahl hinterher flatterte.

»Warum nur?«, flüsterte ein Gänseblümchen zu ihrer Nachbarnin, in einer weichen, sanften Stimme.

»Er weint um eine rote Rose«, sagte die Nachtigall.

»Um eine rote Rose?« riefen sie; »wie lächerlich!« und die kleine Eidechse, die so etwas wie eine Zynikerin war, lachte laut auf.

Aber die Nachtigall verstand das Geheimnis des Kummers des Studenten, und sie saß schweigend in der Steineiche und dachte über das Mysterium der Liebe nach.

Plötzlich breitete sie ihre braunen Flügel aus zum Flug und stieg in die Luft. Sie flog durch den Hain wie ein Schatten, und wie ein Schatten schwebte sie quer durch den Garten.

In der Mitte des Rasens stand ein wunderschöner Rosenstrauch, und als sie ihn sah, flog sie über ihn und landete auf einem Zweig.

»Schenk mir eine rote Rose,« rief sie, »und ich werde dir mein lieblichstes Lied singen.«

Aber der Rosenstrauch schüttelte seinen Kopf.

»Meine Rosen sind weiß,« antwortete er; »weiß wie die Gischt des Meeres und weißer als der Schnee auf den Bergen. Aber geh' zu meinem Bruder, der an der alten Sonnenuhr wächst, vielleicht kann er dir geben was du wünschst.«

So flog die Nachtigall zum Rosenstrauch, der an der Sonnenuhr wächst, hinüber.

»Schenk mir eine rote Rose,« rief sie, »und ich werde dir mein lieblichstes Lied singen.«

Aber der Rosenstrauch schüttelte seinen Kopf.

»Meine Rosen sind gelb,« anwortete er; »so gelb wie das Haar der Meerjungfrau, die auf dem Bernsteinthron sitzt und gelber noch als die Narzisse, die auf der Wiese blüht bevor der Mäher mit der Sense kommt. Aber geh' zu meinem Bruder, der unter dem Fenster des Studenten wächst, vielleicht kann er dir geben was du wünscht.«

So flog die Nachtigall zum Rosenstrauch hinüber, der unter dem Fenster des Studenten wuchs.

»Schenk mir eine rote Rose,« rief sie, »und ich werde dir mein lieblichstes Lied singen.«

Aber der Rosenstrauch schüttelte seinen Kopf.

»Meine Rosen sind rot,« antwortete er, »so rot wie die Füße einer Taube und roter als die weiten Korallenriffe, die in der Tiefe des Meeres wogen und wogen. Aber der Winter hat meine Adern verfroren, der Frost hat meine Knospen im Keim erstick und der Sturm hat meine Zweige gebrochen, ich werde wohl in diesem Jahr keine Rosen haben.«

»Eine rote Rose ist alles was ich will,« rief die Nachtigall, » nur eine rote Rose! Gibt es den keinen Weg diese zu bekommen?«

»Es gibt einen Weg,« sagte der Rosenstrauch; »aber er ist so schrecklich, dass ich nicht wage ihn dir zu erzählen.«

»Sag ihn mir,« sagte die Nachtigall, »ich fürchte mich nicht.«

»Wenn du eine rote Rose willst,« sagte der Rosenstrauch, »musst du sie bei Mondlicht aus Musik formen und färben durch dein eigenes Herzblut. Du sollst zu mir singen mit deinem Brust an meinem Dorn. Die ganze Nacht lang sollst du singen und der Dorn wird dein Herz durchbohren, dein Lebensblut soll in meine Adern fließen und zu meinem werden.«

»Der Tod ist ein hoher Preis für eine rote Rose,« rief die Nachtigall,« und das Leben ist jedem teuer. Es tut so gut, in grünen Wäldern zu sitzen, die Sonnengondel zu schauen und den Mond in seiner Perlengondel. Süß ist der Duft des Weißdorns, süß sind die Glockenblumen, die sich im Tal verbergen und das Heidekraut, das an den Hügeln blüht. Aber die Liebe ist mehr als das Leben und was ist das Herz eines Vogels verglichen mit dem Herzen eines Mannes?«

Und so breitete sie ihre braunen Flügel zum Flug aus und stieg auf in die Luft. Sie schwebte über den Garten wie ein Schatten und wie ein Schatten segelte sie durch den Hain.

Der junge Student lang noch immer im Gras, wo sie ihn zurückgelassen hatte und seine Tränen waren noch nicht trocken in seinen wunderschönen Augen.

»Sei fröhlich,« rief die Nachtigall, »sei fröhlich; du wirst deine rote Rose bekommen. Ich werde sie aus Musik formen bei Mondlicht und sie färben mit meines Herzens Blut. Alles, worum ich dich dafür bitte, ist ein wahrer Liebender zu bleiben, denn Liebe ist weiser als Philosophie, obgleich diese weise ist, und mächtiger als die Macht, obgleich diese mächtig ist. Flammenfarben sind ihre Flügel und gefärbt wie eine Flamme ist ihr Körper. Ihre Lippen sind süß wie Honig und ihr Atem ist wie Weihrauch.«

Der Student schaute aus dem Gras auf und lauschte, aber er verstand nicht, was die Nachtigall zu ihm sagte, da er nur kannte, was in Büchern niedergeschrieben steht.

Aber die Eiche verstand es und wurde traurig, da sie die kleine Nachtigall sehr lieb gewonnen hatte, die ein Nest in ihren Ästen gebaut hatte.

»Sing mir ein letztes Lied,« flüsterte er ; »ich werde sehr einsam sein, wenn du fort bist.«

Also sang die Nachtigall zur Eiche und ihre Stimme sprudelte wie Wasser aus einer Silberquelle.

Als sie ihr Lied beendet hatte, stand der Student auf, zog ein Notizbuch und einen Bleistift aus seiner Tasche hervor.

»Sie hat Format,« sagte er zu sich selbst als er durch den Hain fortging, »das kann man ihr nicht absprechen; aber hat sie auch Gefühle? Ich fürchte nein. Eigentlich ist sie wie alle Künstler; sie hat nur Stil ohne die geringste Ernsthaftigkeit. Sie würde sich nicht selbst für andere aufopfern. Sie denkt bloß an Musik und jeder weiß, dass die Künste selbstsüchtig sind. Trotzdem muss ihr zugestanden werden, dass sie einige wunderwolle Töne in ihrer Stimme hat. Wie schade, dass sie keine Bedeutung haben oder irgendeinen praktischen Nutzen.« Und er ging in sein Zimmer, legte sich auf sein kleines Stohbett und begann an seine Liebste zu denken; und nach einer Weile schlief er ein.

Als der Mond am Himmel schien, flog die Nachtigall zum Rosenstrauch und drückte ihre Brust gegen einen Dorn. Die ganze Nacht lang sang sie mit ihrer Brust gegen den Dorn und der kalte kristalklare Mond beugte sich herunter und lauschte. Sie sang die ganze Nacht hindurch und der Dorn drang tiefer und tiefer in ihre Brust und ihr Lebensblut wich von ihr.

Sie sang zunächst von der aufkeimenden Liebe im Herzen eines Jungen und eines Mädchens. Und am höchsten Zweig des Rosenstrauchs erblühte eine herrliche Rose, Blütenblatt folgte auf Blütenblatt, wie ein Lied auf das nächste folgte. Blass war sie anfangs, wie leichter Nebel, der über dem Fluß liegt. Blass wie Fußspitzen des Morgens und silbern wie die Flügel des beginnenden Tages. Wie das Bild einer Rose in einem Spiegel aus Silber, wie das Bild einer Rose in einem Wasserbassin, so war die Rose, die am höchste Zweig des Rosenstrauchs erblühte.

Aber die Rose rief zur Nachtigall, sie solle sich kräftiger gegen den Dorn pressen. »Noch kräftiger« rief die Rose, »oder der Tag beginnt bevor die Rose fertig ist.«

So drückte sich die Nachtigall sich kräftiger gegen den Dorn und lauter und lauter wurde ihr Gesang, als sie von der Geburt der Leidenschaft in der Seele eines Mannes und einer Maid sang.

Und ein zarte Hauch von Rosa legte sich über die Blätter der Rose wie der Hauch im Gesicht des Bräutigams, wenn er die Lippen der Braut küsst. Aber der Dorn hatte noch nicht ihr Herz erreicht, so dass das Herz der Rose weiß blieb, da nur das Herzblut der Nachtigall das Herz einer Rose blutrot färben kann.

Und die Rose rief zur Nachtigall sie solle sich noch kräftiger gegen den Dorn drücken. »Noch kräftiger« rief die Rose, »oder der Tag beginnt bevor die Rose fertig ist.«

Und so presste sich die Nachtigall stärker gegen den Dorn, der Dorn berührte ihr Herz und ein heftiger Schmerz durchzuckte sie. Bitter, bitter war der Schmerz und immer wilder wurde ihr Gesang, als sie von der Liebe sang, die durch den Tod vervollkommnet wird, von der Liebe, die nicht einmal im Grab stirb.

Und die wundervolle Rose wurde blutrot, wie die Rose am östlichen Himmel. Blutrot war der Ring der Blütenblätter und blutrot wie ein Rubin war das Herz.

Aber die Stimme der Nachtigall wurde matter und ihre kleinen Flügel begannen zu flattern, ein Nebelschleier legte sich über ihre Augen. Schwächer und schwächer wurde ihr Gesang und sie fühlte ihre Kehle immer enger werden.

Dann gab sie einen letzten Schwall Musik von sich. Der weiße Mond hörte es, und er vergaß die Morgendämmerung und verweilte am Himmel. Die rote Rose hörte es und sie bebte überall voll Verzückung und öffnete ihre Blütenblätter in der kalten Morgenluft. Ein Echo trug ihn zu seinen purpurnen Höhlen in den Bergen und weckte die schlafenden Schäfer aus ihren Träumen. Er glitt durch das Schilf am Fluß und es trug die Nachricht weiter zum Meer.

»Sieh nur, sieh!« rief der Rosenstrauch, »die Rose ist jetzt fertig«; aber die Nachtigall gab keine Antwort, da sie tot im langen Gras lag mit einem Dorn in ihrem Herzen.

Und als es Mittag wurde, öffnete der Student sein Fenster und sah hinaus.

»Welch großes Glück!« rief er; »Hier ist eine rote Rose! Ich habe in meinem ganzen Leben nie eine Rose wie diese gesehen. Sie ist so wunderschön, dass ich sicher bin, sie hat einen langen lateinischen Namen«; und er lehnte sich aus dem Fenster und brach sie.

Dann setzte er sich seinen Hut auf und lief zum Haus des Professors mit der Rose in seiner Hand.

Die Tochter des Professors wickelte blaue Seide zu einem Knäul, während sie im Eingang saß, ihr kleiner Hund lag zu ihren Füßen.

»Sie sagten«, rief der Student, »sie würden mit mir tanzen, wenn ich Ihnen eine rote Rose brächte. Hier ist die roteste Rose in der ganzen Welt. Sie können sie heute abend an Ihrem Herzen tragen und wenn wir tanzen, wird sie Sie daran erinnern, wie sehr ich Sie liebe.«

Jedoch das Mädchen runzelte die Stirn.

»Ich fürchte, sie wird nicht zu meinem Kleid passen,« antwortete sie; »und nebenbei bemerkt hat mir der Neffe des Kämmerers echte Juwelen geschickt und jeder weiß doch, dass Juwelen viel teurer sind als Blumen.«

»Nun, glauben Sie mir, Sie sind sehr undankbar,« sagte der Student ungehalten; und er warft die Rose auf die Straße, wo sie in den Rinnstein fiel und das Rad eines Wagens über sie rollte.

»Undankbar!« rief das Mädchen. »Ich sagen Ihnen, Sie sind sehr unverschämt; und alles in allem, wer sind sie schon? Bloß ein Student. Ich glaube nicht, dass Sie Silberschnallen an Ihren Schuhen haben, wie sie der Neffe des Kämmerers trägt«; und sie stand von ihrem Stuhl auf und ging ins Haus.

»Welch töricht Ding die Liebe ist,« sagte der Student als er davon ging. »Sie ist nicht halb so brauchbar wie die Logik, da sich mit ihr nichts beweisen läßt und sie erzählt immer von Dingen, die niemals geschehen werden, sie läßt einen Dinge glauben, die nicht wahr sind. Wirklich, sie ist sehr unpraktisch und heutezutage ist praktisch zu sein alles, ich sollte wieder zur Philosophie zurückkehren und Metaphysik studieren.«

Also kehrte er in sein Zimmer zurück, zog ein verstaubtes dickes Buch hervor und begann zu lesen.
Noriel de Morville
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Oscar Fingal O' Flahertie Wills Wilde (* 16. Oktober 1854 in Dublin; † 30. November 1900 in Paris)


Leben

Jugend und Studium

Aufgrund der Berufe seiner Eltern kam Oscar Wilde frühzeitig mit der Schriftstellerei in Kontakt. Sein Vater William Wilde war Irlands führender Ohren- und Augenarzt und schrieb Bücher über Archäologie, Folklore und den Satiriker Jonathan Swift. Seine Mutter Jane Francesca Elgee war von Beruf Übersetzerin, engagierte sich im Young Ireland Movement unter dem Pseudonym „Speranza“ und galt als revolutionäre Lyrikerin.

Oscar Wilde besuchte von 1864-1871 die Portora Royal School in Enniskillen, studierte von 1871-1874 klassische Literatur am Trinity College in Dublin und von 1874-1878 am Magdalen College in Oxford. Hier erzielte er seine erste literarische Anerkennung, als sein Gedicht Ravenna im Jahre 1878 mit dem Newdigate-Preis ausgezeichnet wurde. Ebenso wurde er dort zum Mitglied der Freimaurerloge „Apollo University No. 357“ gewählt.

Neben der Schriftstellerei wandte Oscar Wilde sich der Kunst im weiteren Sinne zu. Sein Interesse wurde durch die Abhandlungen von John Ruskin und Walter Pater zur Bedeutung der Kunst geweckt. In der Folge entwickelte Wilde sich zu einem Verfechter der Idee des Ästhetizismus und unterstützte das Motto „Kunst um der Kunst willen“ (L'art pour l'art). Diese Lehre Theophile Gautiers wurde durch James McNeill Whistler bekannt gemacht, den Wilde um 1880 kennenlernte. Beide Künstler brachten es nicht zuletzt durch ihren Austausch von Bonmots, den sie auch in der Tagespresse zelebrierten, zu wahrhaftiger Prominenz, bis sie sich 1885 über Whistler's „Ten O'Clock“-Vorlesung zerstritten.


Die Jahre als Erfolgsschriftsteller

Wilde wurde zu seiner Zeit als Schriftsteller bewundert und war im prüden viktorianischen England zugleich als Skandalautor und Dandy verschrien. Er war berühmt für geschliffene Eloquenz und extravagantes Auftreten. Seine literarischen Arbeiten wurden von kunstphilosophischen Abhandlungen und Essays begleitet, die unter den ästhetizistischen Künstlern seiner Zeit bekannt und diskutiert waren. Er gilt als herausragender Vertreter der Kunst des fin de siècle und war auch unter seinen französischen Kollegen berühmt.

In den Jahren nach 1882 hielt er Vorlesungen in den USA und Kanada. Er wurde von der Kritik lächerlich gemacht, die er wiederum als philisterisch bezeichnete.

1884 heiratete er Constance Lloyd, von der er zwei Söhne hatte, Cyril (*1885) und Vyvyan (*1886).

Wilde arbeitete von 1887 bis 1889 für die Pall Mall Gazette und danach als Herausgeber der Zeitschrift Woman’s World. Während dieser Jahre veröffentlichte er die für seine Söhne geschriebene Märchensammlung The Happy Prince and Other Tales (1888, klassische Vertreter der Gattung Kunstmärchen) und Das Bildnis des Dorian Gray (The Picture of Dorian Gray) (1891). Kritiker finden in letzterem autobiographische Elemente; andererseits ist es eine direkte Antwort auf den französischen Symbolismus, insbesondere auf A rebours von Joris-Karl Huysmans (deutsch: Gegen den Strich).

In den folgenden Jahren schrieb Oscar Wilde etwa jährlich ein neues Werk, vor allem Gesellschaftskomödien. Am bekanntesten sind Lady Windermere’s Fan (1892), A Woman of No Importance (1893), An Ideal Husband (1895) und The Importance of Being Earnest (1895), welches die Oberklasse satirisch darstellt und als sein bestes Werk gilt.

Sein Stück Salome (1891) nach der biblischen Salome-Legende (mit berühmten, zum Teil sehr freizügigen Jugendstil-Illustrationen von Aubrey Beardsley) wurde vom Zensor abgelehnt und fand keinen Verleger in England. 1894 wurde es von und mit Sarah Bernhardt in Paris uraufgeführt. Richard Strauss vertonte die deutsche Übersetzung später in seiner weltweit erfolgreichen Oper Salome.


Skandal, Zuchthaus und Isolation

Der Familienvater Oscar Wilde ging - für die damalige Zeit - relativ unbekümmert mit seiner Homosexualität um. Homosexuelle Partnerschaften, etwa zu Robert Ross, waren nicht unbekannt. Allerdings führten die juristischen Konsequenzen seines langjährigen Verhältnisses zu Lord Alfred Douglas (Bosie), dem Sohn John Sholto Douglas', des 9. Marquess von Queensberry, zu einem Skandal erster Klasse und seinem schmachvollen Niedergang.

Queensberry hatte ihn durch Hinterlassen einer Karte in Wildes Club quasi-öffentlich als jemanden bezeichnet, der als „Sodomit“ (sic!) posiert; Wilde leitete gegen ihn daraufhin einen Verleumdungsprozess ein, in dem prompt sein Privatleben thematisiert wurde. Wilde verlor den Prozess und wurde 1895 wegen 'Unzucht' (sprich Homosexualität) angeklagt und am 25. Mai zu zwei Jahren schwerer körperlicher Zwangsarbeit verurteilt. Auch hier verließ ihn nicht sein Humor: In Gefangenschaft gefesselt im Freien warten müssend, ist folgender Ausspruch von ihm überliefert: "Wenn Ihre Majestät ihre Gefangenen so behandelt, dann verdient sie keine." Seine Frau verließ mit den Kindern das Land, sie lebte unter anderem in Deutschland in der Gegend von Heidelberg und änderte ihren Namen in Constance Holland. Der Skandal führt unter anderem auch zum Eklat beim Magazin The Yellow Book (Literatur), der den Niedergang von Wildes Illustrator Aubrey Beardsley bewirkte.

Im Gefängnis Reading schrieb er einen Brief von 30.000 Wörtern an Bosie, den er Robert Ross nach seiner Entlassung aus der Haft zukommen ließ, damit er nicht zerstört würde. Alfred Douglas bestritt stets, diesen Brief erhalten zu haben. Unter dem Titel De profundis wurde er posthum (1905) unter Auslassung eventuell anstößiger Abschnitte veröffentlicht; 1949 veröffentlichte Vyvyan Holland, Wildes Sohn, den gesamten Brief. In dem Brief geht es u.a. auch um die teilweise unmenschlichen frühkapitalistischen Zustände - Kindergefangene, Kinderzwangsarbeit - im Zuchthaus in Reading. Letztere Themen hatte er nach seiner Haftentlassung bereits in zwei Leserbriefen an die Zeitung Daily Chronicle dargelegt.

Gesundheitlich schwer angeschlagen wurde Wilde 1897 aus der Haft entlassen und floh vor der gesellschaftlichen Ächtung nach Paris. Die letzten drei Lebensjahre verbrachte er unter dem Namen Sebastian Melmoth (nach dem Roman Melmoth the Wanderer seines Vorfahrens Charles Robert Maturin) auf dem europäischen Festland in Armut und Isolation. Er endete als Gescheiterter wie sein Romanheld Dorian Gray, der sich nach einem Leben in Sinneslust selbst zerstört.

Am 30. November 1900 starb Oscar Wilde im Pariser „Hotel d’ Alsace“. Obwohl völlig mittellos, wurde er vom Besitzer des Hotels im besten Zimmer untergebracht und bekam das beste Essen und den besten Wein. Sein angeblicher Kommentar: "Ich sterbe über meine Verhältnisse." bzw. seine letzten Worte: "Entweder geht diese scheußliche Tapete - oder ich." Er starb an den Folgen einer Hirnhautentzündung, die aus einer chronischen Mittelohrentzündung resultierte. Die wiederum soll von einer Verletzung herrühren, die er sich im Gefängnis zugezogen hatte. Nach Auskunft der südafrikanischen Wissenschaftler Ashley Robins und Sean Sellars handelt es sich um einen Mythos, dass Wilde an der damals unheilbaren Syphilis gelitten hätte.

Wildes Sterbezimmer im Hotel d'Alsace, Rue des Beaux Arts, ist heute ein im Stil seiner Zeit aufwändig restauriertes Luxusquartier und von jedermann zu mieten. 100 Jahre nach Wildes Tod kostete die Nacht dort rund 1300 Französische Francs - etwa 198,18 Euro.

Auf dem Sterbebett trat Wilde zur römisch-katholischen Kirche über. Er wurde zunächst auf dem Cimetière de Bagneux beigesetzt, im Jahr 1909 aber auf den Cimetière du Père Lachaise in Paris umgebettet. Seine letzte Ruhestätte ziert ein Grabmal von Jacob Epstein.

Am Ende war er von Lord Alfred getrennt. Ross hingegen hatte ihm ewige Freundschaft bewiesen; seine Asche wurde später in Wildes Gruft beigesetzt.


Nachleben

1913 veröffentlichte Wildes Neffe Fabian Lloyd alias Arthur Cravan in Paris einen Artikel, in dem er behauptete, sein Onkel sei noch am Leben und habe ihn in Paris besucht. Oscar Wilde habe sich seit 1901 in Indien und Indonesien aufgehalten und sei wieder dorthin zurückgekehrt. Der Pariser Korrespondent der New York Times fiel auf dieses Gerücht herein und recherchierte - erfolglos - nach Zeugen, die jemals den toten Wilde gesehen hatten. Cravan ging noch einen Schritt weiter und wettete 5000 Dollar, dass sich im Sarg des Dichters auf dem Friedhof Père-Lachaise kein Leichnam, sondern zwei unveröffentlichte Manuskripte befänden. Die französische Regierung ging auf dieses Wettangebot sowie auf die damit verbundene Forderung nach einer Exhumierung nicht ein.


Werke

Erzählungen

* Das Gespenst von Canterville (The Canterville Ghost) (1887)
* Die Sphinx ohne Geheimnis (The Sphinx without a Secret) (1887)
* Lord Arthur Saviles Verbrechen (Lord Arthur Savile's Crime) (1887)
* Der Modellmillionär (The Model Millionaire) (1887)
* Das Bildnis des Dorian Gray (The Picture of Dorian Gray) (Roman, 1891)



Märchen

* The Happy Prince and Other Stories (1888) (enthält u.a. „Der selbstsüchtige Riese“)
* Der Geburtstag der Infantin (The Birthday of the Infanta) (1889)


Bühnenstücke

* Vera oder die Nihilisten (Vera, or the Nihilists) (1880
* Lady Windermeeres Fächer (Lady Windermere's Fan) (1892)
* Die Herzogin von Padua (The Duchess of Padua) (1893)
* Eine Frau ohne Bedeutung (A Woman of No Importance) (1893)
* Ein idealer Gatte (An Ideal Husband) (1894)
* Salome (Salomé) (Drama,1891)
* Bunbury oder die Bedeutung, Ernst zu sein (The Importance of Being Earnest) (etwa 1895)



Essays

* Der Verfall der Lüge (The Decay of Lying) (1889)
* Feder, Pinsel und Gift (Pen, Pencil and Poison) (1889)
* Das Bildnis des Herrn W.H. (The Portrait of Mr. W. H.) (1889)
* Der Kritiker als Künstler (The Critic as Artist) (1890)
* Der Sozialismus und die Seele des Menschen (The Soul of Man under Socialism) (1891)

Die einzigen Werke Wildes mit unzweideutig homosexuellen Inhalten waren:

* Gespräch über Freundschaft, zwei Freunde unterhalten sich über einen Dialog Platons
* Das Bildnis des Mr. W.H., zwei junge Männer erfinden einen Geliebten für William Shakespeare

Die Autorenschaft der beiden Bücher

* Teleny (1895, erschien zunächst anonym)
* Der Priester und der Messnerknabe („The Priest and the Acolyte“) 1894

wird Wilde zwar zugeschrieben, ist aber nicht nachgewiesen. Man geht davon aus, dass Der Priester und der Messnerknabe von dem Oxford-Studenten John Bloxam verfasst wurde.
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Izumi-t
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Beitrag von Izumi-t »

"Die Nachtigall und die Rose" war wunderschön! Das zeigt mal wieder, wie einfach Menschen gestrickt sind und ich sehe Vögel nun mit anderen Augen. Ich mag solche Geschichten. Sie verändern die Sichtweise und ich weiß, dass ich noch viel lernen und verstehen muss.
Ein Blitzableiter auf einem Kirchturm ist das denkbar stärkste Misstrauensvotum gegen Gott.
nola-blair

Re: Die Nachtigall und die Rose - Oscar Wilde

Beitrag von nola-blair »

Jedesmal wenn ich das Märchen von Oskar Wilde lese, kommen mir die Tränen, aber nicht weil die Nachtigall dabei stirbt, sondern
eher weil der Student die Nachtigall nicht entdeckt wie sie Tod da liegt. Was mich dann ärgert, immer und immer wieder auf neu. Ich
denke dann vielleicht sieht er ja doch nochmal raus und sieht sie ,nur das ist vergebens.

Muss aber sagen, was mir an dem Märchen so gefällt, ist die Tatsache das man sieht wie taub und blind die Liebe den Menschen machen kann.
Denn der Student hat nur Augen und Ohren für seine Liebste, und alles andere erscheint ihn sinnlos und ohne Inhalt ( wie der Gesang der
Nachtigall).
Und die Tränen die er für die rote Rose vergießt, erscheinen sogar noch sinnloser, sieht man mal wieder das Liebe dumm
macht ;) .
Als er dann seine Liebste nicht auf Anhieb bekommt, schmeißt dieser die Rose sofort weg, für die er soviele Tränen vergossen hat,
und sich darüber so gefreut hat als er diese sah. In einer Sekunde schmeißt er seine Liebe über Bord. Nun könnte man sich natürlich
fragen: ist die Liebe nur eine Laune der Natur? Wenn diese denn in einer einzigen Sekunde verschwinden kann?

Aber Oskar Wilde gibt auch darauf ganz galant die Antwort:
Nämlich das die Nachtigall ihren Studenten nur glücklich sehen will, ohne Dank dafür zu verlangen, stirbt sie für ihn. Denn sie opfert sich
für diesen.
Und genau das könnte man als Liebe bezeichnen, nur jedoch ist diese Liebe leider nicht gegenseitig, was dem Menschen ja das wichtigste
ist.

Nur so denke ich, in seinem Leben ist jeder mal oder öfter der Student oder die Nachtigall. Wenn man der Student ist, darf man sich glücklich schätzen,
das man mit Hilfe von Büchern über diesen Kummer hinwegkommen kann ( denn manchmal können schon Bücher der Ausweg sein). Die Nachtigall zu sein,
das wünsche ich wirklich niemanden, auch wenn sie von beiden die einzige ist die wirklich liebt.

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